Zitat von
Augsburger Punker
Angela Davis und Queer BDS - Was hat Palästina mit Feminismus zu tun?
Von Karin Stögner
1. BDS und globaler Feminismus
Am 7. Oktober 2023 überfielen Terroristen der Hamas Städte und Kibbuzim im Süden Israels und begingen das größte Pogrom seit dem Holocaust – ein antisemitisches Massenmorden, das von vielen mit dem Vorgehen der NS-Einsatzgruppen verglichen wird: 1.400 Israelis wurden auf unbeschreiblich grausame Weise ermordet, vergewaltigt, verstümmelt, verbrannt – ein Gemetzel, dessen Todeskult den Hass auf das Leben und das Glück der Einzelnen ausdrückt. 260 Besucher:innen eines Musikfestivals waren unter den Opfern. Etwa 240 Menschen wurden als Geiseln genommen und in den Gazastreifen verschleppt, unter ihnen kleine Kinder und Babys. Die Hamas stellte Bilder und Videos online, die offensichtlich vergewaltigte, im Schritt blutende Frauen zeigten, deren verrenkte Körper einer johlenden Männermenge zur Schau gestellt, von ihnen bespuckt und an den Haaren gerissen wurden – alles islamistisch-misogyne Manifestationen des Hasses auf eine selbstbestimmte Sexualität von Frauen. Der Antisemitismus der Hamas ist von Misogynie und Antifeminismus durchwachsen. Dieser Abgrund des Grauens hätte einen weltweiten feministischen Aufschrei erwarten lassen, der die Hamas eindeutig und unmissverständlich als antisemitisch-misogyne Mörder und Vergewaltiger verurteilt, die sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln fordert, sich solidarisch mit Israel erklärt und dessen Recht auf Selbstverteidigung betont. Vereinzelt waren und sind solche feministischen Stimmen auch zu hören, viel lauter aber melden sich insbesondere auf Social Media jene vorgeblich feministischen Gruppen zu Wort, die im Einklang
mit der Kampagne Boycott, Divestment, Sanctions und in falsch verstandener Palästina-Solidarität eine Opfer-Täter-Umkehr vornehmen, die antisemitisch-misogyne Gewalt der Hamas als legitime Widerstandshandlung gegen eine angebliche israelische Besatzung des Gazastreifens framen und ein Palästina „from the river to the sea“ fordern. (1)
Solche Reaktionen von Seiten intersektionaler und queer feministischer Bewegungen in den USA und in Europa sind erschreckend, jedoch nicht ganz unerwartet. Sie entsprechen vielmehr einem seit etwa zwei Jahrzehnten andauernden internationalen Trend der feministischen Palästinasolidarität: Intersektionale und queere feministische Bewegungen bekennen sich zur Boycott Divestment Sanctions-Kampagne und unterstützen damit die Politik, mittels akademischer, kultureller und ökonomischer Boykotte Israel zur Aufgabe der „Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“ und zur Anerkennung „der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren“ (BDS 2005) zu zwingen. Laut eigenen Angaben entstand BDS 2005 als Initiative zahlreicher palästinensischer Organisationen und gibt sich so als ein authentischer Aufschrei und als ein Empowerment der unterdrückten Palästinenser:innen in Israel und den besetzten Gebieten. Wie David Hirsh in seinem Buch Contemporary Left Antisemitism nachzeichnet, wurde BDS allerdings nicht von Palästinenser:innen initiiert, sondern 2002 von britischen Akademiker:innen (Hirsh 2017: 100).
Die spezifische Allianz zwischen intersektionalen und queer-feministischen Bewegungen und NGOs mit BDS läuft unter dem Label Queer-BDS oder Queers for BDS (Davis 2012; Shulman 2012). Grundlage dieser Allianz ist ein bestimmtes Verständnis von Intersektionalität, wonach Frauen nicht nur Sexismus, sondern auch andere Formen von Unterdrückung bekämpfen müssen. So ist auch Antirassismus ein feministisches Anliegen. Hintergrund dieser berechtigten Forderung ist, dass Frauen selbst keine homogene Gruppe bilden, sondern weltweit von unterschiedlichen Formen von Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung betroffen sind. Dieser Zugang macht zunächst Sinn, da er die Multidimensionalität von Herrschaft und Unterdrückung im globalen Maßstab fokussiert. Er zeitigt jedoch als negative Konsequenz in der Praxis der Debatten, dass der Schutz einer patriarchalen (Minderheits-)Kultur die Kritik an patriarchaler Geschlechterungleichheit innerhalb dieser Kulturen überlagert und zuweilen aushebelt. Ist das der Fall, gleitet der Diskurs ab in Kulturrelativismen, welche Geschlechterungleichheit als authentischen Ausdruck einer Kultur legitimieren und die
systematische Gewalt gegen Frauen und sexuelle Minderheiten verschweigen.
Queer-BDS operiert zentral mit Vorwürfen des Homonationalismus und des Pinkwashing: Diese besagen, dass die liberale israelische Gesetzgebung im Hinblick auf die Rechte von LGBTIQ*Personen lediglich ein Vorwand sei, um von Menschenrechtsverletzungen und der Besatzung abzulenken. Die LGBTIQ*-Politik Israels wird als bloße Täuschung, neoliberale Maske und Herrschaftsstrategie delegitimiert, hinter der die imperialistische Agenda stehe, die westlichen liberalen Vorstellungen den arabischen und muslimischen Communities aufzuoktroyieren und diese Communities aufgrund fehlender LGBTIQ*-Rechte als homophob abwerten zu können (Puar/Mikdashi 2012; Schotten/Maikey 2012; kritisch dazu Blackmer 2019). Ausgeblendet und delegitimiert wird damit nicht nur der jahrzehntelange Kampf israelischer LGBTIQ* für ihre Rechte, sondern auch das Freiheitsbegehren palästinensischer LGBTIQ*.
Die Instrumentalisierung von Intersektionalität zur Legitimierung von Antizionismus und BDS greift insbesondere in den USA und in Großbritannien um sich: Eine wachsende Zahl von Gender Studies Departments sowie individuelle Feminist:innen und Wissenschaftler:innen der Gender Studies stellen sich zunehmend hinter BDS und schließen damit auch queere und feministische israelische Wissenschaftler:innen und Künstler:innen aus, wenn diese in irgendeiner Weise finanzielle Unterstützung seitens offizieller israelischer Stellen erhalten, was im Wissenschafts- und Kunstbetrieb die Regel ist. BDS scheint mittlerweile in weiten Teilen der globalen Linken zu einem kulturellen Code geworden zu sein: Wer sich als links, antikolonial und antirassistisch definiert, unterstützt quasi automatisch BDS. Selten wird dann von den Followern noch gefragt, worum es eigentlich geht und was die genauen historischen und politischen Hintergründe des Nahostkonflikts sind. So wird als Kontext der Massaker der Hamas die vorgebliche israelische Besatzung palästinensischer Gebiete eingemahnt (Butler 2023), wodurch die Israelis an dem Massaker, das an ihnen verübt wurde, zumindest als mitschuldig gesehen werden, während der Kontext des globalen Antisemitismus, der die Staatsgründung Israels von jeglicher Form des Siedler-Kolonialismus unterscheidet, ebenso ausgeblendet wird wie jener Kontext, dass Al-Husseini, der Mufti von Jerusalem, die Nazis unterstützt und ihren exterminatorischen Antisemitismus geteilt hat (Illouz 2023). Solche selektive Kontextualisierung ist Teil eines postkolonialen und antiimperialistischen Tickets.
Diese durchschlagende Diskurshoheit innerhalb der letzten 15 Jahre in weiten Teilen der Linken, aber auch im globalen Feminismus, errungen zu haben, ist ein ungeheurer Erfolg der internationalen Anti-Israel-Lobby.
BDS beruht ideologisch auf einem bestimmten Verständnis des Antiimperialismus, verbunden mit einer Dämonisierung und einer massiven Abwehr einer imaginären Konstruktion des Westens, die in einem manichäischen Weltbild fundamental den als authentisch repräsentierten unterdrückten Völkern des globalen Südens entgegengesetzt wird. Ein vorgeblich authentisches Gemeinschaftsgefühl wird einem kalten westlichen Individualismus gegenübergestellt. Dabei werden Kulturen und Völker zu einheitlichen Blöcken geschmiedet, die inneren Widersprüche und Konflikte ausgeblendet und globale Ungleichzeitigkeiten ignoriert – etwa diejenige, dass Muslime im Westen eine Minderheit sind, die zuweilen rassistischer Gewalt ausgesetzt sind, im arabischen Raum aber die Mehrheit, die mitunter andere Minderheiten unterdrückt. In einem einseitigen Weltbild steht zudem die unterdrückte Kultur bzw. Bevölkerung als solche im Vordergrund, weniger die Individuen, die in diesen Kulturen leben und mannigfaltige und ineinandergreifende Formen der Unterdrückung
und Ausbeutung erfahren. So geht es auch BDS nicht um die individuellen Rechte auf (sexuelle) Selbstbestimmung, sondern um das kollektive Recht auf nationale Selbstbestimmung. Eine universalistische Vorstellung individueller Rechte,
die mit kollektiven Gruppenzugehörigkeiten in Konflikt treten kann, wird ideologisch in eine westliche Bevormundung umgedeutet, zu deren Abwehr ein Kulturkampf geführt wird, der den Westen als seicht und seelenlos materialistisch zeichnet (Fine 2010). BDS gibt sich ebenso antiuniversalistisch wie antiliberal – Ausdruck findet beides in kollektivierenden Tendenzen und der Schmähung des Individualismus als einzig und allein durch neoliberale Politik und Ökonomie bewerkstelligte Vereinzelung zur Unterminierung eines authentischen Gemeinschaftsgefühls.
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