ERSCHRECKENDE SITUATIONSANALYSE VON EHRENPRÄSIDENT KURT MÜNSTER
ERC Selb erneut in der Finanzkrise
Eishockey-Oberligist kann Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen und
will GmbH gründen
VON ANDREAS PÖHNER
Die Eishockey-Oberligasaison ist längst vorbei, doch beim ERC Selb geht die
Arbeit jetzt erst richtig los. Vor allem die Finanzen müssen - wieder einmal
- neu geordnet werden. Was in der Porzellanstadt schon lange die Runde macht
und unserer Zeitung jetzt auch schriftlich vorliegt: Die Spieler haben
letztmals im Januar 60 Prozent ihres Gehaltes bekommen. Im Februar und März
gab es keinen Cent mehr. Von Ruhe, wie noch am Dienstag in der
Fachzeitschrift ´Eishockey News´ zu lesen war, also keine Spur.
In der Not erinnerten sich die Verantwortlichen der ´Wölfe´ an ihren
Ehrenpräsidenten Kurt Münster. Der 78-Jährige sitzt seit Ende März wieder in
der ERC-Geschäftsstelle und versucht zu retten, was zu retten ist. ´Ich bin
zu einer Präsidiumssitzung eingeladen und dort gebeten worden, die
wirtschaftlichen Verhältnisse zu prüfen´, erklärt Münster, warum er wieder
zurück zu ´seinem´ ERC Selb gekommen ist, nachdem er im November vergangenen
Jahres - unmittelbar nach der Entlassung von Trainer Tapio Rautalammi - den
Verantwortlichen verärgert den Rücken zugewendet hatte.
Und natürlich konnte Münster, mittlerweile mit einer Vollmacht des
dreiköpfigen Präsidiums um Wolfgang Fritsch, Udo Große und Werner Specht
ausgestattet, nicht Nein sagen, als er um Hilfe gebeten wurde. ´Es darf
nämlich nicht sein, dass plötzlich 220 Kinder auf der Straße stehen.´
Die ´Situationsanalyse´, so nennt es Kurt Münster, ergab - wieder einmal -
Erschreckendes: Der Verein ist seit einiger Zeit nicht imstande, seinen
Zahlungsverpflichtungen gegenüber Spielern, Lieferanten, Finanzamt und
Krankenkassen nachzukommen. Das hatte Münster übrigens schon im vergangenen
Herbst kommen sehen. ´Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass finanzielle
Engpässe auf den Verein zukommen. Aber keiner der drei Präsidenten hat mich
ernst genommen.´
------
´Keiner hat mich
ernst genommen´
------
Unverständlich sei dies für den 78-Jährigen umso mehr, als mit Wolfgang
Fritsch ein Steuerberater im dreiköpfigen Präsidium sitzt, der die
Bilanzzahlen eigentlich richtig deuten hätte müssen. ´Aber scheinbar hat
sich keiner der Herren diese halbe Stunde Zeit genommen, um mal einen Blick
auf die Zahlen zu werfen.´
Jetzt also muss Kurt Münster wieder die Kastanien aus dem Feuer holen - und
will endlich eine Idee umsetzen, die ihm schon lange im Kopf herumgeht: Die
Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) für die
Oberligamannschaft. Diese ´Selber Wölfe GmbH´ - Gesellschafter hat Münster
bereits in der Hinterhand, will aber noch keine Namen nennen - würde dem
Verein ERC Selb dann behilflich sein, die kurzfristigen Verbindlichkeiten in
langfristige umzuwandeln. Mit einer Voraussetzung: Auch das amtierende
Präsidium müsste sich adäquat daran beteiligen. ´Von zwei
Präsidiumsmitgliedern habe ich bereits die Zusage für eine größere Spende´,
so Münster, dem eines am Herzen liegt: Alle Gläubiger, also auch die Spieler
und Lieferanten, sollen ihre noch ausstehenden Gelder bekommen. ´Ich muss
aber alle noch um etwas Geduld bitten.´ Auch die Mitglieder sollen nicht -
wie vor zwei Jahren - für die Versäumnisse des Präsidiums büßen. ´Einen
doppelten Mitgliedsbeitrag wird es nicht mehr geben´, versichert Münster.
Eine weitere Voraussetzung für die Gründung einer GmbH ist natürlich die
Zustimmung der Mitglieder in der Jahreshauptversammlung am Montag, 3. Mai,
20 Uhr, in der Gaststätte Eisstadion. Das Präsidium und die Mitglieder
müssten der neuen Gesellschaft den gesamten wirtschaftlichen Zweckbetrieb in
Eigenregie und Eigenverantwortung übertragen. Der ERC Selb mit seinen
Nachwuchsmannschaften sowie der Kunstlauf- und Eisstockabteilung und die
Gesellschaft würden dann einen von Kurt Münster bereits vorbereiteten
Kooperationsvertrag schließen, in dem alle Rechte und Pflichten der
Vertragspartner vereinbart sind.
Kurt Münster glaubt, dass der ERC Selb nur auf dieser Basis existenzfähig
ist. ´Wie die Erfahrung zeigt, brauchen wir eine professionelle
Geschäftsführung. Mit ´Freizeitkapitänen´, die nicht genau hingucken, ist
das nicht zu machen.´
------
Satzungsänderung nicht weitergeleitet
------
Etwas verwundert dürften die meisten Mitglieder nach Erhalt der Einladung
zur Mitgliederversammlung zur Kenntnis genommen haben, dass am 3. Mai der
Jahresabschluss per 31. Dezember 2003 vorgelegt wird, und nicht - wie bei
der Jahreshauptversammlung vor zwei Jahren beschlossen - der Abschluss per
30. April, also zum Saisonende. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Das
derzeit noch amtierende Präsidium hat es schlichtweg versäumt, das Protokoll
der Versammlung samt Satzungsänderung an das Registergericht weiterzuleiten.
Jetzt bleibt den vielen Eishockeyfans in der Region nur die Hoffnung, dass
das Konzept von Kurt Münster und seinen Mitstreitern - also den künftigen
Gesellschaftern - aufgeht. Und die Gläubiger sich solange in Geduld üben.*