Erstmals Farbbilder vom WM-Finale 1954

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Urmel1974
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Erstmals Farbbilder vom WM-Finale 1954

Beitrag von Urmel1974 »

SZ vom 30.05.2003:

Die Farbe des Spiels

Bislang war die WM54 ein schwarz-weißer Fußballmythos – die ARD präsentiert jetzt bunte Bilder der Tore



Das Land war jung und hatte nichts, außer seiner Vergangenheit, die es vergessen wollte. Weil Nationen Mythen brauchen, um zu entstehen und sich zu festigen, wurde die gewonnene Weltmeisterschaft 1954 ein solcher Gründungsmythos. Und es passte irgendwie ins Bild, dass es von dem Endspiel, das für manche der eigentliche Gründungsakt der Republik war, bisher nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen gab: Da kämpften sie im Wankdorfstadion zu Bern, Schwarz gegen Weiß, im Schlamm und im Regen, holten einen 0:2 Rückstand auf und siegten schließlich mit 3:2 Toren. Und die junge Republik fand in die Welt zurück und zu neuem Wohlstand. Überliefert wird der Mythos in Schwarz-Weiß- Bildern der Wochenschau.


Natürlich treffen sie auch in Farbe: Rahn schießt. Der Ball fliegt ins Netz. Man kannte das entscheidende Tor, unterlegt mit der Stimme des Radio kommentators Herbert Zimmermann. Doch wer hatte dabei im Sinn, dass der Rasen des Wankdorfstadions grün, die Trikots der Ungarn rot und der Himmel über Bern grau-blau war? Alle bisher bekannten Filmaufnahmen des Finales sind eben in Schwarz-Weiß gedreht.


Die Kölner Produktionsfirma AZ Media hat nun zwei farbige Minuten des WM-Endspiels ausfindig gemacht, die von der ARD am morgigen Samstag im Anschluss an das DFB-Pokalfinale in Berlin gezeigt werden. Zwei Minuten nur von neunzig, vier der fünf Endspieltore, gefilmt von einem unbekannten Schweizer Kameramann, der von der Eckfahne aus drehte. Aber in Farbe. Eine neue Perspektive auf den Mythos.


Einen Mythos der zerstückelt wurde, verloren ging, weggeworfen wurde. Lange existierten nur etwa 15 Minuten des Endspiels auf den Filmrollen der Wochenschau. Zwar sahen die wenigen, die damals einen Fernseher besaßen, das komplette Spiel live auf dem Bildschirm, aber eine Möglichkeit zur Aufzeichnung gab es eben noch nicht.


Der Münchner Sportfilmer Hans Schubert hatte 1954 die Lizenz erworben, das Spiel auf Schwarz-Weiß-Filmrollen zu dokumentieren. Irgendwann in den Fünfzigern brauchte die Firma Schubert Platz in ihrem Lager, musste den feuertechnischen Anforderungen genügen und warf das leicht entflammbare Zelluloid weg. Der Mythos landete auf dem Müll. Vergessen wurde er nicht.


Denn immer wieder haben sich Filmesammler auf die Suche nach dem Endspiel gemacht. Die Sportfilm-Schubert hatte Kopien ihres Materials damals in alle Welt verschickt, bevor sie es vernichtete: an den französischen Fußballverband zu Schulungszwecken, nach Uruguay, Ungarn und Chile. Die Sammler telefonierten durch die Welt, hatten Ausdauer und Geschick. Beides brachte ihnen ein paar neue Minuten. Was ihnen fehlte, waren Geld und die Kontakte.


Der DFB und andere Verbände zeigten wenig Interesse an der Rekonstruktion des Finales. Auch die großen Fernsehsender kämpften lange lieber um die Rechte der Bundesliga, als um das Endspiel von Bern. Das änderte sich erst, als der große Jahrestag näher rückte. 2004 jährt sich das Finale zum fünfzigsten Mal. Mittlerweile haben die Abteilungen Zeitgeschichte der Fernsehsender mit den Vorbereitungen für das Jubiläum begonnen. Ihre Vertreter wurden in den Filmarchiven von Budapest gesichtet. Und in diesem Herbst kommt das Wunder von Bern in der Fassung von Sönke Wortmann in die Kinos.


Das Kölner Unternehmen AZ Media, das nun die neuen Farbbilder entdeckt hat, dreht im Auftrag des Bayrischen Fernsehens eine Würdigung des Wunders von Bern. Auf neue Bilder von damals stieß die Firma durch Zufall. Für die RTL- Dokumentation Kanzler, Krisen, Koalitionen, die kürzlich mit dem Bayrischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, suchte Markus Brauckmann von AZ Media Mitte vergangenen Jahres nach Material über das Endspiel, als geschichtlichem Baustein der Republik. „Wir wollten nicht die immergleichen Wochenschaubilder zeigen, sondern etwas Neues bieten“, sagt Brauckmann. Zusammen mit Archivar Sascha Engling machte er sich auf die Suche nach dem „Troja der Fußballarchäologie“.


Komplimente, aber keine Filme


Sie fuhren zuerst nach Ungarn und trafen dort zwei der drei lebenden Mitglieder der 54er Mannschaft, Torhüter Gyula Grosics und Abwehrspieler Jenö Budzanski. Man aß Gulasch. „Wir haben unseren Frieden gemacht. Wir wissen, die Deutschen haben gewonnen, aber wir waren besser“, hätten die gesagt. Filmmaterial hatten sie nicht.


Fündig wurde Brauckmann schließlich im Ungarischen Filmarchiv. Erst einige Monate zuvor war dem Archiv eine Rolle des Endspiels angeboten worden. Ein Blick aufs Material hatte dem Archivar genügt, um zu erkennen, dass die Rollen dem Archiv bereits gehörten und von dort gestohlen worden waren. Eine Anzeige bei der Polizei hätte wenig gebracht, fünfzig Dollar brachten elf Minuten neues Schwarz-Weiß-Material der ungarischen Wochenschau Magyar filmhirado zurück.


Dann versuchten es Brauckmann und Engling in Kaiserlauten, dem damaligen „Epizentrum des deutschen Fußballs“. Immer dann, wenn der FCK gewonnen hatte, meldeten sie sich am folgenden Montag, bei einem Freund Fritz Walters. Walter hatte in Kaiserslautern einmal ein Kino besessen und der Freund nach dessen Tod einige Filmrollen geerbt. Leider nur Aufnahmen von FCK- Spielen aus den Fünfzigern, keine WM-Bilder.


Brauckmann begann nun, der internationalen Spur zu folgen. Sie führte in diverse Fußballverbände und Filmarchive auf dem Globus. Immer war die Hoffnung groß, dass dorthin auch das Originalmaterial der Münchener Sportfilm- Schubert verfrachtet worden war. Mariana Theux, eine spanisch sprechende Mitarbeiterin der AZ Media, kümmerte sich um die Archive Lateinamerikas. Von den Männern am anderen Ende der Leitung erhielt sie Komplimente, keine Filmrollen. In einem brasilianischen Museum bekam sie schließlich den Tipp, es mal bei einem deutsche Immigranten zu versuchen, der vor kurzem wieder nach Hamburg zurückgekehrt sei. Und dort – in einem Hamburger Keller – lagen dann die zwei Minuten Endspiel in Farbe.


Sie stammen von einer Schweizer Filmfirma, die die Gelegenheit der Weltmeisterschaft im eigenen Land nutzte, um einen Fußballlehrfilm zu drehen. In Farbe. Sie drehten einige WM-Spiele und wohl das komplette Finale, schnitten es aber dann zu einem Lehrfilm zusammen und ordneten die Tore verschiedenen Kategorien zu: Rahn steht unter „Fernschuss“. Nur mit dem 2:2 wussten sie offenbar nichts anzufangen oder verpassten es. Es ist nicht auf dem neuen Material zu sehen. Mit dem gefunden Schatz lief Brauckmann zu Fachleuten, um nicht einem „Hitler-Tagebuch-Skandal im Kleinen aufzusitzen“. Die tasteten die Rollen ab und sagten, sie seien echt, nicht nachkoloriert.


Am Samstag nun laufen die Bilder in der ARD nach dem Pokalfinale. Es wird eine kleine Gala geben mit Mitgliedern aller drei deutschen WM-Teams: mit Rudi Völler, mit Franz Beckenbauer und mit Horst Eckel, dem rechten Läufer von 1954. Waldemar Hartmann moderiert. Er hat das Endspiel damals als Sechs jähriger vor dem Radio gehört und habe beim Anblick der neuen Bilder eine „Gänsehaut bekommen“.


Horst Eckel wird die Farb-Bilder am Samstag das erste Mal sehen. Für ihn ist 1954 kein Mythos, keine kollektive Erinnerung in Schwarz-Weiß. Er war damals dabei, als sie in Bern in Farbe spielten.


BERND DÖRRIES
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