Speziell für Reunion hier ein paar Artikel aus der
heutigen SZ:
Alter Umgang mit neuen Fans
Das Beispiel FC Bayern: Den Vereinen fehlt oft das Verständnis für die Veränderungen in den Stadion-Kurven
Köln – Die Selbstdarstellung von Gregor Weinreich, 26, hat seit Mittwoch einen verzweifelt sarkastischen Unterton. Der Vorsitzende des Club Nr. 12, eines Zusammenschlusses von Fans des FC Bayern, beschreibt sich als „mäßig intelligent, Bauingenieur, Wechselwähler (nicht zwischen DVU und NPD)“, trage „Anzug gern ohne Krawatte, im Moment keinen Mord planend“. Eine witzige Replik soll das sein auf den Bayern-Manager Uli Hoeneß. Nur ist Weinreich nicht nach Späßen zumute, unter Tränen sagt er: „Ich bin fix und fertig.“ Der Club Nr. 12 und zwei weitere Fan-Klubs, insgesamt mehrere hundert Anhänger, wurden letzte Woche vom FC Bayern ausgeschlossen; sie sollen an Ausschreitungen und Sachbeschädigungen beteiligt gewesen sein. Bewiesen wurde das bislang nicht.
Prima Rufmord
Doch mit solcher Kollektiv-Verurteilung nicht genug. Als Reaktion auf die Ausschlüsse, so wird Hoeneß in der gestrigen Ausgabe von Sport-Bild zitiert, hätte der Fanbeauftragte und ehemalige Bayern-Keeper Raimond Aumann Morddrohungen bekommen. Anonym per Internet und E-Mail geschah das zwar, doch ein Täterprofil hatte Hoeneß gleich parat: „hochintelligent, Betriebswirtschaftler, Anzug und Krawatte“. Die rechtsradikale Haltung glaubt der Manager auch zu kennen. „Sie sagen nein. Aber natürlich gibt es gewisse Elemente. Ob rechts oder nicht.“ Das ist schwammig formuliert, funktioniert aber als Rufmord gegenüber den Geschassten ganz prima und ist bisheriger Gipfel einer Debatte, die über die Klärung von Recht und Unrecht in München hinausgeht.
„Solche Probleme gibt es vor allem dort, wo ehemalige Profis die Fanbetreuung übernommen haben“, sagt Thomas Weinmann, Fanbeauftragter bei Borussia Mönchengladbach. Denen würde oft ein tieferes Verständnis für das Gewusel in den Kurven fehlen. Ähnlich den popkulturellen Subkulturen hat es nämlich auch in den Fan-Kurven eine große Ausdifferenzierung gegeben.
Der Fankultur letzte Wendung sind die Ultras, die seit rund vier Jahren in Deutschland ungeheuren Zulauf haben. Als „total intelligente, hochmotivierte Leute“ beschreibt sie Thomas Schneider von der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) in Frankfurt. Die Ultras, zu denen sich auch die vom FC Bayern ausgeschlossene Schickeria München zählt, orientieren sich nicht mehr am Vorbild englischer, sondern an dem italienischer Fans. Im Mittelpunkt steht eine möglichst opulente Selbstinszenierung durch große Schwenkfahnen oder Kurvenchoreographien mit Papptäfelchen im Stil nordkoreanischer Jubelfeiern.
Das gefällt auch vielen Fußballverantwortlichen. Uli Hoeneß hat ein großes Foto von der Choreografie beim Champions-League-Finale 2001 in seinem Büro hängen. „Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben“, hatten die Fans ihrer Mannschaft auf einem riesigen Transparent mitgeteilt und die Kurve in Rot und Weiß getaucht – organisiert vom nun verbannten Club Nr. 12.
Einerseits sind die Ultras mit ihrem Sinn für Inszenierungen also durchaus geschäftskompatibel, unkritisch aber sind sie nicht. Fast jede Ultra- Gruppierung bezieht sich auf ein Manifest, das Fans des AS Rom verfasst haben. Dort wird die Kommerzialisierung des Fußballs kritisiert und die alte Angst vor Verdrängung aus dem Stadion formuliert: „In den Köpfen der Funktionäre nimmt die Zukunft bereits Gestalt an: Es wird der gezähmte Fan erwünscht, der moderate Stimmung verbreitet, aber nur soviel, wie als Hintergrundeinspielung für die Fernsehübertragung notwendig ist.“
Ausverkauf der Tradition
Die vom FC Bayern sanktionierten Fans hatten sich eingemischt, etwa Vorschläge für den Kartenverkauf gemacht oder vehement das Trikot der Bayern in der Magenta-Farbe des Hauptsponsors als Ausverkauf der Tradition kritisiert. Andererseits hatten sie sich aktiv am Wahlkampf für das neue Münchener Stadion beteiligt, Flugblätter aus eigener Tasche finanziert und hinterher sogar einen Dankesbrief bekommen. Das entspricht dem sozialen Hintergrund der neuen Fangeneration. „Sie sind deutlich der Mittelschicht zuzuordnen“, sagt Schneider von der KOS. Nur werden sie anders wahrgenommen. „Vor allem die Ultras erleben Umgangsformen, die für Hooligans ausgedacht wurden“, sagt Schneider.
Dabei spielt Hooliganismus, von vereinzelten Ausbrüchen abgesehen, in Deutschland fast keine Rolle mehr. Trotzdem sind die Sicherheitskonzepte noch immer auf den gewalttätigen Fan der achtziger und frühen neunziger Jahre ausgerichtet. „Der ganze Apparat müsste eigentlich abgebaut werden“, sagt Gladbachs Fanbeauftragter Weinmann. Wird er aber nicht. Die Polizei verweist auf stabile Statistiken bei Delikten im Umfeld des Fußballs. Nur erklären die sich durch eine völlig veränderte Einschätzung von dem, was erlaubt ist. „Die Verhältnismäßigkeit hat sich verschoben“, sagt Weinmann.
Die Aktion Pro Fans, aus Pro15:30Uhr hervorgegangen, hat eine Reihe nur noch bizarr zu nennender Beispiele dafür gesammelt, wie schnell inzwischen bundesweite Stadionverbote ausgesprochen werden. Schon ein wegen eines Gegentores wütend weggeworfener Bierbecher kann dazu reichen. Immer häufiger wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen, und man könnte den Eindruck gewinnen, dass System dahinter steckt. „Es ist doch verlockend, wenn man das wirtschaftlich sieht“, sagt Weinreich vom Club Nr. 12. Er meint damit, dass fordernde, manchmal vielleicht auch für nervend gehaltene Fans durch solche ersetzt werden, die brav zahlen und dann gehen. Und Stimmung kann man auch anders machen. Der FC Bayern überlegt, das akustische Loch in der Südkurve im kommenden Jahr mit einer Blaskapelle aufzufüllen.
Christoph Biermann
Raus aus dem FC-Bayern-Land
Von Ralf Wiegand
Was würden die Spieler des FCBayern davon halten, wenn ihnen die Polizei alle Führerscheine abnähme, nur weil Oliver Kahn sich nicht an die Regeln auf deutschen Autobahnen halten kann?
Vermutlich würden sie das nicht verstehen, obwohl Kahn, als Kapitän ein hoher Botschafter seines Klubs, nachweislich das Gaspedal überstrapaziert hat. Die Ermittlungen gegen einzelne Mitglieder der Fan-Klubs, die der FC Bayern kollektiv ausgeschlossen hat, laufen indes noch. Das Urteil des Vereins steht aber schon fest: vereinsschädigendes Verhalten, raus mit allen! Und als Abschiedsgruß gibt’s noch ein paar vage Pauschalanklagen vom Manager persönlich hinterher geworfen.
Mal wieder spielt die oberste Moralinstanz des Fußballs mit ihrer Macht. Natürlich ist es ratsam, kleinste Anzeichen von Gewaltbereitschaft unter seinen Fans zu beobachten, und es ist gut, dass ein Verein rechtsradikale Gruppen nicht zu seinem Gefolge zählen möchte und recherchiert, ob sich da was zusammenbraut. Nur: Der FC Bayern beobachtet und recherchiert selten. Er explodiert. Der kleinste Kratzer auf dem blank polierten Lack des Weltklubs gilt als Totalschaden. Das Image ist heilig, verteidigt wird es notfalls durch Selbstjustiz.
Bisher traf der Zorn andere. Die Deutsche Fußball-Liga, der die Bayern mitteilten, sie solle wegen der Kirch-Verträge ruhig ermitteln, aber man werde kein negatives Urteil akzeptieren. Den Sender RTL, dem Manager Hoeneß alles Schlechte wünscht, weil er die Champions-League-Rechte verschmäht. Real Madrid mit der Zirkusnummer Beckham. Lothar Matthäus, der die Bilanz seines Abschiedsspiels prüfen wollte und den die Bayern offen mit einer Kampagne bedrohten, ehe sich der erste Richter nur geräuspert hatte. Und so weiter, und so fort.
Die Selbstherrlichkeit speist sich aus ungebremstem Zulauf. Sponsoren drängeln sich um Werbeplätze, Politiker auf der Ehrentribüne, Fans um Dauerkarten auf verregneten Plätzen. Die Bayern wähnen sich im Boom-Gebraus als Gegenentwurf zu Jammer-Deutschland. Sie können einen Klub durch ein einziges Gastspiel vor dem Konkurs retten und ein Stadion finanzieren, größer und schöner als alle anderen.
Die Bayern: ein Staat im Staat. Oberster Verfassungsgrundsatz im FC- Bayern-Land: Alles hat zum Wohle des Klubs zu geschehen. Die von so viel Selbstgefälligkeit überrollten Anhänger sprechen von ihrem Verein eingeschüchtert als „das System“ oder „die AG“, als handele es sich um eine Diktatur. Die ausgeschlossenen Fan-Klubs, die sich pauschal verunglimpft sehen, resignieren vor der Medienmacht FC Bayern.
Bisher polarisierte der Verein nur die Lager, nun spaltet er die Basis seines Ruhms: das eigene Volk. Das ist noch selten einem Staat bekommen.
Ein Teil des Vereins
Der Bayern-Fanklub Club Nr. 12 kämpft um sein Image
Der Streit zwischen dem FC Bayern und den ausgeschlossenen Anhängern ist eskaliert. Fanbeauftragter Raimond Aumann und Vorstandsmitglied Karl Hopfner haben über das Internet Morddrohungen erhalten. Manager Uli Hoeneß vermutet die Urheber im Kreis der aus dem Fanklub-Verzeichnis gelöschten Fanklubs, die keine Dauerkarten mehr erhalten hatten. Der FC Bayern hat Strafanzeige gegen ein Mitglied des Club Nr. 12 gestellt. „Wenn ein Mitglied von uns eine solche Drohung verfasst hat, bin ich völlig schockiert und distanziere mich ausdrücklich“, sagt der Vorsitzende Gregor Weinreich, „da ist vielleicht einer vollkommen durchgetickt.“ Er sei bereit, mit dem Verein und der Polizei zur Aufklärung zusammenzuarbeiten. Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen. „Wir stehen dabei ganz am Anfang“, sagt Pressesprecher Reichel, „wir ermitteln zunächst gegen unbekannt.“ Die IP-Adresse des Rechners, von dem aus die Drohung verfasst wurde, könne eventuell weiterhelfen.
Bayern-Manager Uli Hoeneß machte den ausgeschlossenen Klubs schwere Vorwürfe: „Mitglieder, die bei Aktionen nicht mitmachen wollen, werden geschlagen, bedroht oder mit Alkohol gefügig gemacht.“ Weinreich bezeichnet dies als „lächerlich“ und wehrt sich auch gegen den Verdacht des Rechtsradikalismus. Am Wochenende wollten Mitglieder seines Vereins nach Italien zu einem Fußballturnier gegen Rassismus fahren.
Der Club Nr. 12 bezeichnet sich selbst als „Zusammenschluss aktiver Bayernfans“. Ihm gehören auch Mitglieder der ebenfalls ausgeschlossenen Gruppierungen Red Sharks und Schickeria an. Über 500 Anhänger sind laut Weinreich bei seiner Organisation Mitglied, darunter fast 100 Vorsitzende anderer Fanklubs. Dadurch ist der Club Nr. 12 kein gewöhnlicher Fanklub mehr, sondern eher eine inoffizielle Dachorganisation vieler Fanklubs. Dementsprechend viel Einfluss hat die Vereinigung in der Südkurve. Diesen Einfluss nutzte der Club Nr. 12 zu zahlreichen Aktionen. Er organisierte immer wieder Choreographien auf den Rängen und wurde dafür vor zwei Jahren im Stadionheft auf einer ganzen Seite gelobt. Von Hoeneß.
Leerer Block fünf
Aber längst nicht alle Aktionen lagen im Interesse der Vorstandschaft des FC Bayern. Bereits 1998 unterstützte der Club Nr. 12 eine Faninitiative für Stehplätze. Während der ersten Halbzeit des Spiels gegen den Hamburger SV organisierte er eine Blocksperre. Der Block V unter der Anzeigentafel blieb menschenleer, statt Anfeuerung war nur die Forderung „Sitzplätze raus!“ zu hören. Außerdem mischte sich der Klub in die Stadiondebatte ein. Fast alle Anhänger in der Südkurve hielten Wahlzettel in die Höhe, auf Transparenten stand: „Umbau? Wir wählen den Neubau!“ Als der Fanklub diese Aktionen begann, favorisierte der Verein noch einen Umbau des Olympiastadions.
Im Moment engagieren sich die Mitglieder des Club Nr. 12 gegen die Einführung einer Europaliga, gegen einen Börsengang des FC Bayern und für fanfreundliche Anstoßzeiten. Außerdem rufen sie auf ihrer Homepage zu Protest gegen so genannte „Farbsünden“ auf: „Unser Zeichen wird behandelt wie ein beliebiges Firmenlogo“, schreiben sie. „Man muss zu dem Schluss kommen, dass die Farbsünden begangen werden, weil irgendwelche Designer oder Marktforscher es gerade für modisch halten. Man glaubt, mit anderen als den Vereinsfarben mehr Geld einnehmen zu können.“ Sponsoren dürften keinen Einfluss auf die Farben haben. Der Club Nr. 12 bot auch inoffizielle und günstigere Reisen zu Auswärtsspielen an, in der Saison 2001/ 02 erstmals auch Sonderflüge zu Europapokal-Auswärtsspielen.
„Geschickt und intelligent“
Weinreich ist redegewandt und selbstbewusst. Er führte eine Fangruppierung, die Politik machte, sich ihres Einflusses bewusst war und mit zwei Vorsitzenden, einem Kassierer, einem Schriftführer und verschiedenen Arbeitsgruppen zu Sachthemen wirkungsvoll organisiert war. Viele Mitglieder unterstützen den Klub nur passiv, es scheint dennoch möglich, in dieser Struktur einzelne gewaltbereite Fans zu identifizieren.
„Wir sind genauso ein Teil des FC Bayern wie der Vorstand“, sagt Weinreich. Dieses Gefühl gründet sich bei den Mitgliedern vor allem auf ihre Choreographien, die zum Erscheinungsbild des Klubs beitragen. „Sie haben sich mit guten Aktionen eine wichtige Position in der Fan-Szene erarbeitet“, sagt Thomas Emmes vom Fanprojekt der Stadt, „ich vermute, dass dem FC Bayern diese kritischen Fans ein Dorn im Auge waren.“ Anhänger, die sich vom Fanklub distanzieren, sollen ihre Dauerkarte laut Weinreich zurück erhalten. „Langjährige Freunde wenden sich ab“, sagt er. „Das ist sehr bitter.“
Dass eine Morddrohung nun möglicherweise von einem Mitglied des Club Nr. 12 ausgesprochen wurde, nahm Emmes mit Bestürzung zur Kenntnis. „Das ist furchtbar und bringt alle in Misskredit. Aber man kann keine ganze Gruppe verurteilen, wenn einer von ihnen solchen Mist baut.“ Es handle sich um einen „durchweg studierten, gewaltfreien Fanklub.“
Der FC Bayern weiß, dass die Anführer des Club Nr. 12 nicht den Klischees tumber Gewaltverbrecher entsprechen. „Diese Leute sind sehr geschickt, hochintelligent“, sagt Manager Hoeneß, „aber das Gefährliche ist, wenn sie irgendwann in Anzug und Krawatte einen totschlagen.“ Gregor Weinreich sagt: „Wir werden mit einem riesigen Schmutzkübel überzogen, aber wir sind trotzdem noch gesprächsbereit.“ Weil er sich trotz allem noch als Teil des FC Bayern fühlt, „so unverständlich das sein mag.“ Er ist sich aber sicher: „Egal, wie die Sache endet, die Fankultur beim FC Bayern hat einen massiven Schaden erlitten.“
Markus Schäflein