ebenfalls SZ v. 26.02.03:
„Die Liga ist in Gefahr“
Sportrechtler Stopper zum Kirch-Vertrag mit dem FC Bayern
Dr. Martin Stopper, 36, Sportrechtsexperte und Dozent für Wirtschaftsrecht an der Universität Kaiserslautern, hat zum Thema „Ligasport und Kartellrecht“ promoviert und ein Referendariat beim Deutschen Fußballbund (DFB) absolviert. In der Vertragsaffäre des FC Bayern mit dem Kirch-Konzern steht für ihn die gesamte zentrale TV-Vermarktung der Bundesliga auf dem Spiel. Seiner Meinung nach können nur Sanktionen durch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) bei den anstehenden kartellrechtlichen Prüfungen das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Solidarsystems der Vereine wiederherstellen.
SZ : Die DFL muss den Geheimvertrag des FC Bayern mit Kirch nun prüfen und möglicherweise sanktionieren. Worum geht es dabei im Kern?
Stopper : Um die Glaubwürdigkeit der Liga als Ganzes. Ohne eine glaubwürdige Kontrolle und einen glaubwürdigen Verteilungsmechanismus unter den Profi-Klubs ist die Funktionsfähigkeit des Liga-Geschäftes nicht gewährleistet.
SZ : Wie beweist man die?
Stopper : Indem man Kontroll- und Sanktionsmechanismen einrichtet und dann auch ausübt.
SZ : Eingerichtet sind diese Kontrollmechanismen schon.
Stopper : Aber nach meiner Meinung nicht ausreichend. Die Möglichkeit allein, dass im Lizensierungsverfahren die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Klubs nachgewiesen werden muss, ist zu wenig. Es muss von jedem Verein aktiv der Beweis erbracht werden, dass er im Einklang mit den Statuten steht.
SZ : Wen interessiert es, wie glaubwürdig die Liga auf ihre Statuten pocht?
Stopper: Die Wettbewerbshüter. Die DFL steht ja zum ersten Mal vor einer ganz besonderen Herausforderung. Sie muss zeigen, dass ihre Liga funktioniert. Und im besonderen Fall des FC Bayern muss gezeigt werden, dass die zentrale TV-Vermarktung tatsächlich eine solche ist – dass also keine weiteren Kanäle geöffnet und bedient werden. Genau das scheint aber durch den separaten Kirch-Vertrag geschehen zu sein.
SZ : Liegt demzufolge nicht ein Täuschungsversuch durch den FC Bayern vor - weil er die Statuten der DFL als Mitglied der Liga voll mit trägt?
Stopper : Richtig, die Bayern haben sich den Ordnungen von DFB und DFL unterworfen. Teil dieser Ordnung ist es, dass die Fernsehrechte für die Bundesliga ausschließlich zentral vermarktet werden. Dagegen haben sie verstoßen.
SZ : Der FC Bayern sagt aber, der Vertrag sei eindeutig nur mit Kirch abgeschlossen, das Geld beziehe sich allein auf den höheren Marktwert des Vereins und gehe den Rest der Liga nichts an. Die anderen hätten keinen Anspruch darauf.
Stopper : Ein Vertrag hat doch stets Leistung und Gegenleistung zum Inhalt. Dieser Vertrag erfordert die Gegenleistung, dass Bundesliga-Rechte zentral vermarktet werden – und diese Gegenleistung konnte vom FC Bayern gar nicht erbracht werden, weil er rechtlich nicht dazu befugt ist. Dazu war allein die DFL oder damals der DFB rechtlich in der Lage. Die Gegenleistung, die Kirch erhielt, dass ihm nämlich die zentrale Vermarktung übertragen wurde, hätte nur die DFL erbringen können. Da sie aber für diese Leistung nicht vergütet wurde, sondern fälschlicherweise der FC Bayern, kann sie als Schadenersatz aus ihrem mit den Bayern geschlossenen Lizenzvertrag die Summe verlangen, die von den Münchnern eingenommen wurde.
SZ : Das heißt, die DFL hat die Pflicht, einen Schaden von 42 Millionen Mark – das ist die Summe, die vom FC Bayern als Geldfluss aus dem Geheimvertrag benannt wird – als Forderung anzusetzen?
Stopper : Diese Summe ist der Bundesliga als Ganzem entgangen. Sie hätte in den gemeinsamen Topf gezahlt und nach dem vereinbarten Verteilungsschlüssel wieder an die Vereine gegeben werden müssen. Das müsste die DFL nun innerhalb des Verfahrens nachholen.
SZ : Wer schaut jetzt darauf, wie sauber die DFL mit dem Problem verfährt?
Stopper : Da muss man weiter ausholen. Der DFB hat um 1998 ein Freistellungsverfahren für die Liga eingeleitet, das in diesem Sommer abgeschlossen werden soll. Darin geht es um die Zulässigkeit der zentralen Vermarktung von TV-Rechten für die Bundesliga.
SZ : Dann ist die ganze Liga-Vermarktung bisher sowieso nur provisorisch?
Stopper : Dass es sie gibt, wird jetzt zum ersten Mal kartellrechtlich geprüft.
SZ : Fliegt also der Bayern/Kirch-Vertrag zum brisantesten Zeitpunkt auf?
Stopper : Heikel ist der Zeitpunkt sicher. In einer ähnlichen Situation, in Bezug auf die Champions League, die von der Uefa exklusiv vermarktet wird, hat die EU-Kommission zwar bereits angedeutet, dass sie diese Gruppen-Vermarktung für akzeptabel hält. Es gibt sogar eine offizielle Mitteilung aus Brüssel, die besagt, dass dieses Geld positiv auf alle teilnehmenden Vereine verteilt werden kann. Aber meine Befürchtung ist: Das wesentliche Argument für eine solche Freistellung ist die Funktionsfähigkeit eines Systems wie die DFL, das Kontrolle, Verteilung und Sanktionen ausübt. In der Reihenfolge: Erst muss man kontrollieren, was reinkommt, dann vernünftig verteilen – und wenn es nicht klappt, glaubwürdig sanktionieren.
SZ : Im Falle Bayern/Kirch ist zumindest nicht richtig kontrolliert worden.
Stopper : Dieser Vertrag ist der Beweis, dass das System nicht richtig funktioniert hat. Und weil im Bereich der Kontrolle ein Fehler aufgetaucht ist, ist die DFL jetzt gefordert, zu zeigen, dass sie zumindest im Bereich der Sanktionen funktioniert. Wenn sie ihre Glaubwürdigkeit da verliert, fällt eine wesentliche Rechtfertigung für eine kartellrechtliche Einzelfreistellung aus Brüssel weg.
SZ : Das könnte das Ende der Zentralvermarktung bedeuten?
Stopper : Zumindest wäre sie stark gefährdet. Und der FC Bayern würde letztlich das erreichen, was er immer wollte – eine dezentrale Vermarktung.
SZ : Kann er die wirklich wollen?
Stopper : Die Einzelvermarktung wäre einer gesunden wirtschaftlichen Zukunft der Liga auf jeden Fall abträglich.
SZ : Wenn so viel auf dem Spiel steht, sitzen letztlich wieder alle im selben Boot – Bayern, DFL und der Rest der Liga. Liegt da nicht nahe, dass sie alle nach einer schonenden Lösung suchen, bei der die Diplomatie das Recht notfalls ein Stück zur Seite schiebt?
Stopper : Die EU-Kommission interessiert nicht, ob sich die Beteiligten hier gütlich einigen, sondern sie will sehen, dass die DFL ihre Funktionsfähigkeit nachweist. Sonst ist sie in Gefahr.
SZ : Einzige Lösung wäre ein sauberer Prozess, an dessen Ende eine saftige Millionen-Forderung an Bayern steht?
Stopper : Bayern muss insoweit schadenersatzpflichtig gemacht werden, als sich die erbrachte Leistung, also Kirchs 42 Millionen, und die zu prüfende Gegenleistung nicht mehr entsprechen.
Interview: Thomas Kistner