Süddeutsche Zeitung
Revival in der Steinzeithöhle
Augsburger Panther halten sich überraschend in der DEL-Spitze
Augsburg – Wenn die Gegenwart grau ist und die Zukunft unsicher, klammert man sich gern an die Vergangenheit. In Augsburg war das den ganzen Sommer über so. Die Panther, als Mitglied der Deutschen Eishockey-Liga das sportliche Aushängeschild der Stadt, hatten ihr schlimmstes Jahr seit dem Wiederaufstieg 1994 hinter sich, die Playoffs viel zu früh verpasst und erst spät den Klassenerhalt geschafft sowie auf Grund der Finanzknappheit wenig Aussicht auf Verbesserung. Also freute man sich über etwas, das kein anderer Eishockey-Klub hat: Den 125. Geburtstag des Vereines, der damit der älteste noch existierende dieser Sparte im ganzen Lande ist. Doch Tradition zahlt keine Stars, weshalb man der vor sechs Wochen gestarteten DEL-Saison auch wieder voller Skepsis entgegensah. Heute endet das erste Viertel der Punkterunde, und die Panther behaupten sich zum wachsenden Erstaunen aller Experten beständig unter den ersten Vier.
Abzusehen war das wahrlich nicht, denn auch die Planungsphase verlief alles andere als nach Wunsch: Da ein Hauptsponsor auf sich warten ließ und immer noch lässt, beschränkte man sich bei den Zugängen zunächst auf den „Reste-Verkauf“ der noch kleineren Klubs: Rekrutiert wurde unter anderem in der zweiten Liga, vom Pleitier Schwenningen, der Schweizer Nationalliga B oder der in Nordamerika drittklassigen East Coast Hockey League. Vom sportlichen Absteiger Frankfurt kam Rick Girard zurück, der vor vier Jahren im Zwist vom AEV geschieden war – des Pokers um den Zaster wegen. Die Episode des zweiten Rückkehrers sagt einiges aus über die Sonderstellung des Standorts Augsburg aus: Shawn Anderson hatte sich vor drei Jahren ebenfalls aus finanziellen Gründen verabschiedet, Wunsch bei seiner Rückkehr jetzt war unter anderem der Einzug in seine alte Wohnung. Dort fand er auf der Rückseite des Klingelschildes seinen Namen wieder und fühlte sich zu Hause, was mittlerweile mehr zählt als die Jagd nach Geld.
Die einzige Star-Verpflichtung verdankt man indirekt den Hamburg Freezers, vor ihrem Umzug als München Barons Augsburgs Erzfeind. Der 29-jährige kanadische Mittelstürmer Bob Wren hatte nämlich schon einen Kontrakt mit Hamburgs damaligem Manager Max Fedra unterschieben, doch dann erklärten die Freezers, Fedra sei gar nicht zeichnungsberechtigt, woraufhin Wren wieder zu haben war. Jetzt ist er viertbester Punktesammler und Vorlagengeber der Liga, die Fans huldigen ihm als „Lichtgestalt“ und „Eishockey-Gott“ (was auch einiges aussagt über den Eishockey-Sachverstand von Fedra einer- und dem vom Rest der Freezers andererseits).
Wobei es in Augsburg eine zusätzliche Hürde gibt, wenn es gilt, Direkt-Importe aus Nordamerika von einem Engagement zu überzeugen. Es ist der peinliche Moment, dem Neuen seinen Arbeitsplatz zu präsentieren, denn das Curt-Frenzel-Stadion mag nach kanadischer Betrachtungsweise mehr an eine Steinzeit-Höhle als an eine Eishockey-Arena erinnern. Der Bau ist nach drei Seiten offen, was bedeutet, dass die Temperaturen im Winter gerne auch mal unter minus 20 Grad- Celsius fallen, an schönen Tagen dagegen ist die Sicht wegen der auf dem Eis reflektierenden Sonne stark eingeschränkt. Dazwischen ist das ganze Wetter-Spektrum geboten, von Regen, der nicht nur die Zuschauer, sondern bei ungünstigem Wind durchaus auch mal Trainer und Spieler durchweichen kann, bis hin zu stattlichen Laubhaufen auf dem Eis. Auch für die Kabinen muss man sich beinahe schämen, und wenigstens wird Wren wohl nie die Damen-Toiletten inspizieren. . .
Weil die Stadt pleite ist, wird der alte Bau vermutlich auf Jahre hinaus die Heimspielstätte der Panther bleiben. Und auch in diesem Punkt ist Augsburg anders: Während überall im Lande Multifunktionshallen geplant, gebaut oder bezogen werden, gibt es in der Fuggerstadt mittlerweile eine Gegenbewegung. Das „Frenzel“ ist Kult, die Stimmung kann angesichts der äußeren Bedingungen gar nie so steril werden wie anderswo, und es ist nicht einmal auszuschließen, dass der Hallentourismus, der anfangs Köln- oder Color-Line-Arena in Hamburg füllte, irgendwann einmal in die entgegengesetzte Richtung schwappt. Dass die Panther in ihrem Uralt-Stadion seit dem 30. Januar jedes Ligaspiel gewonnen haben, trägt ebenfalls bei zum Curt-Frenzel-Revival.
Von den Playoffs redet trotz der überraschenden Erfolge niemand, zu lebendig ist die Erinnerung an das letzte Jahr, als man ebenfalls der Spitzengruppe angehörte, dann aber mit elf Niederlagen hintereinander fürchterlich abstürzte und sich davon nie mehr erholte. Aber egal, ob die Panther die Playoffs verpassen, dort wie immer, wenn sie sie erreichen, in der ersten Runde ausscheiden, oder erstmals in ihrer Geschichte ins Halbfinale aufsteigen: Auch der nächste Sommer wird wieder die Gewissheit bringen, dass der Verein immer noch der älteste eissporttreibende in Deutschland ist, und Augsburg anders. Auch etwas, worauf man stolz sein kann, wenn man denn sonst nichts hat.
Michael Klein