Forscher warnen vor Gen-Mais
Ratten reagieren bei Tests in Frankreich auf Monsanto-Produkt mit Anomalien / Greenpeace fordert Zulassungsstopp
Unmittelbar vor der Entscheidung der EU-Agrarminister über die Einführung einer weiteren genmanipulierten Maissorte in Europa hat ein vertraulicher Bericht der französischen Gentechnik-Kommission die Öffentlichkeit aufgeschreckt.
VON HANS-HELMUT KOHL
Paris/Brüssel - 23. April - Ein bereits zugelassener Genmais hat der Expertise zufolge bei Ratten deutliche Veränderungen der Blutwerte sowie eine Vielzahl von Anomalien ausgelöst. Die Umweltorganisation Greenpeace forderte die EU-Agrarminister auf, die von der Brüsseler Kommission vorgeschlagene Vermarktung einer anderen genmanipulierten Maissorte bei ihrem Treffen am Montag abzulehnen.
Nur der Hartnäckigkeit der ehemaligen französischen Umweltministerin Corinne Lepage ist es zu verdanken, dass der vertrauliche Bericht der französischen Gentechnik-Kommission (CGB) über die Pariser Tageszeitung Le Monde an die Öffentlichkeit gelangte. Lepage ist Vorsitzende des Forschungs- und Informationszentrums für Gentechnik (Crii-Gen). Die Anwältin rief die französische Kommission für den Zugang zu Verwaltungsakten (CADA) an, die ihr das CGB-Papier verschaffte.
Die darin enthaltenen Informationen und Bewertungen stehen im Widerspruch zu den Aussagen anderer französischer Prüfstellen und der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die den Mais MON 836 der Firma Monsanto kürzlich in Europa zugelassen hat. Dem Zeitungsbericht zufolge kam die CGB bereits am 28. Oktober 2003 zu dem Schluss, dass die Untersuchungsergebnisse es der Kommission "nicht erlauben, für den Mais MON 863 ein Risiko für die tierische Gesundheit auszuschließen".
Demgegenüber hatte die französische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Afssa) nur wenige Tage später, am 6. November, der Maissorte "Unbedenklichkeit" bescheinigt und die beobachteten Auswirkungen bei den Rattenexperimenten als "biologisch unbedeutend" klassifiziert. Dieser Bewertung schloss sich vor wenigen Tagen, am 19. April 2004, die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit an. Zwar, so die EFSA, zeigten die Experimente geänderte Blutwerte und Nierenschädigungen bei den Versuchsratten. Diese seien allerdings "innerhalb der üblichen Variationsbreite bei Kontrollpopulationen".
Dies sieht die CGB deutlich anders, wie Le Monde berichtet. Im August 2003 habe Monsanto zunächst in Deutschland um die Zulassung von MON 863 nachgesucht. Dies sei ein übliches Verfahren, einen Antrag in einem EU-Mitgliedsland zu stellen, das eine erste Empfehlung abgebe. Die deutschen Experten hätten sofort Vorbehalte gegen den Mais entwickelt, da er ein Gen enthalte, das eine Antibiotika-Immunität einschließt. Mit weiteren Erläuterungen der Herstellerfirma sei anschließend der Mais an alle Mitgliedsstaaten gegangen.
In Frankreich habe jedoch nicht die Antibiotika-Resistenz das Problem dargestellt. Kritisch seien vielmehr die Ergebnisse der Rattenexperimente gewesen, bei denen eine Versuchsgruppe 90 Tage lang mit genmanipuliertem Mais und eine Kontrollgruppe mit dem gleichen, aber nicht manipulierten Mais gefüttert wurde. Dabei habe sich bei den Männchen eine deutlich erhöhte Zahl "weißer Blutkörperchen und Lymphozyten" gezeigt. Außerdem sei die Bildung der roten Blutkörperchen bei den Rattenweibchen abgesackt und es habe einen merklichen Anstieg der Nierenerkrankungen bei den Männchen gegeben.
Nach langen internen Diskussionen habe die CGB, so Le Monde, "in Ermangelung einer befriedigenden Erklärung" für die beobachteten Veränderungen ein negatives Votum über MON 863 abgegeben. Dies ist seit der Gründung der Kommission im Jahr 1986 ein seltenes Urteil, da das Gremium der Genmanipulation eher aufgeschlossen gegenüber steht. Von der Zeitung befragte Experten räumen ein, dass die Bewertung der statistischen Ergebnisse einer solchen Untersuchung immer eine "subjektive" Seite enthalte. Auch bei vier anderen 2003 zugelassenen Maissorten habe es Anomalien gegeben, die aber erklärbar gewesen seien.
Greenpeace forderte daraufhin in einer Erklärung die Agrarminister auf, am Montag in Luxemburg den Vorschlag der EU-Kommission abzulehnen, die Maissorte Bt-11 der Schweizer Firma Syngenta in Europa zuzulassen. Wenn die Minister dies wie in der Vergangenheit nicht mit einer qualifizierten Mehrheit zurückwiesen, werde die Kommission allein, und zwar zugunsten der Firma, entscheiden. Auch bei Bt-11 hätten, so Greenpeace, belgische und österreichische Behörden Bedenken angemeldet, über die sich die EFSA hinweggesetzt habe. Auf diesem Wege werde das Vertrauen der Verbraucher, die genmanipulierten Futterstoffen skeptisch gegenüberstünden, nicht gewonnen.
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Frankfurter Rundschau 24.04.2004