Saw IV
Die Mäkelmörder wieder: In Saw IV versucht sich ein neuer Jigsaw-Schüler daran, anderen Menschen mittels scharfer Klingen beizubringen, was er für den Wert des Lebens hält.
Der Anfang ist ein Witz: Die Kamera folgt den Konturen eines Körpers, den man sehr bald als den von Jigsaw (Tobin Bell) erkennen kann, der mit seiner gelehrigen Schülerin Amanda in den bisherigen drei Saw-Filmen (2004-2006) schon zahlreiche Menschen in pädagogischer Mission ums Leben gebracht hat. Jigsaw liegt auf einem Sektionstisch, und rasch kommen Skalpelle und, natürlich, eine Säge ins Bild.
Der Tod lauert hier, schon ganz stereotyp für den Horrorfilm, in jeder Einstellung, und wie selbstverständlich erwartet man, der klaffenden Halswunde zum Trotz, dass der Böse wieder aufsteht und zur Klinge greift. Erst allmählich verflüchtigt sich dieses Gefühl, während man einem Gerichtsmediziner bei der sehr explizit gezeigten Öffnung des Leichnams zusieht. Nein, Jigsaw steht nicht wieder auf, und doch ist er in diesem Film durchgängig auf den Beinen und präsent.
Darren Lynn Bousman, der das Franchise seit Saw II (2005) als Regisseur begleitet, hat hier offensichtlich eine Heimstatt gefunden und Tobin Bell mit der Figur des Jigsaw die Rolle seines Lebens. Der lange Jahre fast ausschließlich als Fernsehschauspieler bekannte Bell wird immer das Gesicht dieses Serienmörders bleiben, auch wenn Jigsaw in der Chronologie der Filme mittlerweile nur noch als Erinnerung und Mentor auftritt.
Mehr und mehr zwingt das die Saw-Filme aber dazu, sich der Frage ihrer eigenen Reduplikation zuzuwenden, und Saw IV erklärt uns, wie man sich diesen Vorgang vorstellen soll: als Lernprozess und richtiggehende Rekrutierung. Jigsaws phantasievolle Mordapparate sollten ja immer dazu dienen, so die Logik des Schreckens, den Opfern aufzuzeigen, wie wertvoll ihr Leben ist. Dass sie das meist nicht überleben, gehörte zur perversen Folgerichtigkeit, die Jigsaw in die Nähe etwa von John Doe aus David Finchers Sieben (Se7en, 1995) rückt.
Stammte Jigsaws mittlerweile ebenfalls verstorbene Gehilfin Amanda noch aus den Reihen derjenigen Opfer, die seine Fallen überlebt hatten, erweitert ihr Nachfolger in Saw IV den pädagogischen Impetus nun ganz gezielt um die Schulung eines weiteren potentiellen Kandidaten. „See what I see“, „feel what I feel“ hinterlässt er dem seiner Spur einsam hinterherhechelnden Polizisten Rigg (Lyriq Bent), dessen Leben dabei natürlich stets mit in Gefahr schwebt.
Die Perspektive Riggs verengt sich dabei zusehends auf die Fallen und Setups, die Jigsaws Schüler ihm stellt – fast unentwegt blickt man in enge Räume, Keller mit feuchten Betonwänden, Hotelzimmer, Gänge, nie ist genug Platz, und doch steht mittendrin ein weiteres Foltergerät. Klaustrophobische Arrangements sind das, die in raschen Schnitten aus allen möglichen Perspektiven gezeigt und so nie wirklich fassbar werden. Das soll den Schrecken vergrößern, und das gelingt auch. Bousman kann es sich eben doch nie verkneifen, die ganze Grausamkeit zu zeigen: das Blut, die immer weiter aufgerissenen, klaffenden Wunden. Dass es das braucht, zeigt zugleich, um wie viel stärker bei aller ästhetischen Annäherung Sieben doch ist, der sich auf die Suggestivkraft seiner Andeutungen verlassen kann.
Auch die Parallelhandlung, die zwei aufrechte FBI-Agenten (Scott Patterson, Athena Karkanis) bei dem Versuch zeigt, Riggs Spur zu folgen und zugleich das Rätsel von einer anderen Seite aus aufzulösen, bietet kaum Außenperspektiven: Diese Stadt – es spielt im Grunde nicht einmal eine Rolle, welche das ist – kommt nur als Innenraum vor, deshalb gibt es keinen Blick aufs Ganze mehr, sondern nur noch aufs Partikulare, und das ist hier nahezu immer auch böse.
Perspektive und Settings greifen wie Zahnräder ineinander, sodass man sich fast der inneren Logik einer Jigsaw’schen Weltsicht überlassen könnte. Wie der Film ja überhaupt fortwährend Zwangsläufigkeit verströmt, er ist weniger ein Abzählreim als eine Strecke aus Dominosteinchen, die sich unerbittlich nacheinander umstoßen, weil alle fraglos und ohne Innehalten tun, was der Mörder will. Ein Zeitlimit, das der Film setzt, sorgt für den nötigen Druck und dafür, dass niemand nachzudenken beginnt.
Die Saw-Filme, Saw IV ist da keine Ausnahme, sind nicht nur Filme über die unerbittliche Kraft der Mechanik und der Maschinen – Zahnräder, Zugseile, Gewichte und Gegengewichte, kurz: gute alte mechanische Physik, trieben Jigsaws Maschinen an. Mit viel Blut und Rost knirschen hier auch wohlgetaktete Pläne ihrem anscheinend unausweichlichen Finale entgegen. Das ist diesmal spannend, adrenalinreich, nie langweilig und unglaublich brutal. Aber es ist eben auch mechanisch, und Saw IV kommt nie wirklich ans Herz heran, nie geht uns die Handlung wirklich nahe, geschweige denn etwas an. Wenn es am Schluss egal ist, wer überlebt und wer stirbt, dann ist das für einen Film, in dem es um kaum etwas anderes geht, kein gutes Zeichen.
Das führt leider dazu, dass man den Jigsaw-Nachfolgern ihr Leiden an der Welt nicht mehr so recht abnehmen mag, sie scheinen in Saw IV generell ziemlich unzufrieden zu sein mit dem Zustand der Welt, der ach so beklagens- und bemäkelnswert ist; zur Bekämpfung der allenfalls geringfügigen Unzulänglichkeiten, die manche der Opfer aufzuweisen scheinen, sind die gewählten Mittel dann aber doch zu radikal.
Immerhin lässt sich Saw IV mit seinem 90-Minuten-Countdown, der nur gering komprimiert in den 95 Minuten des Films untergebracht wurde, auch als Seitenhieb auf die erfolgreiche Fernsehserie 24 (seit 2001) verstehen: Immer wieder tauchen an den verschiedenen Punkten von Riggs Odyssee große Digitaluhren auf, die langsam rückwärts auf Null zählen. Bei 24 wird Folter gerne mal in die Handlung eingebaut (und damit als polizeiliches Mittel gerechtfertigt, was der Serie einige Kritik beschert hat), hier ist sie einziger Sinn und Zweck von Countdown, Handlung und Film: Das ist ehrlicher. Am Ende bleibt die Uhr einfach stehen, und übrig bleibt eine Mechanik voller plötzlich stillstehender Zahnräder und ohne jede Chance auf Erlösung.