VERSCHOBENE OPER
Idomeneo - mit 3 Monaten und 30 Minuten Verspätung
Draußen einsame Demonstranten, drinnen penible Sicherheitskontrollen und Politprominenz: Ein Vierteljahr nach der Absetzung aus Angst vor Islamisten wird die Mozart-Oper Idomeneo heute in Berlin wieder aufgeführt. Ein Singspiel im Hochsicherheitstrakt. Anna Reimann war dabei.
Berlin - Er steht ganz alleine da. Noch eine Stunde bis Idomeneo beginnen soll und der Mann mit dem Schild ist der einzige, der gegen die Aufführung vor der Deutschen Oper protestiert. In der Hand hat Horst Stutz, Mitglied der evangelischen Kirche, wie er sagt, ein Transparent mit der Aufschrift: "Kunstfreiheit oder Jesus Christus?" Er sei für die Freiheit der Kunst, aber es gebe eben auch Grenzen. Und der Regisseur Neuenfels, der sei zu sehr auf sich selbst fixiert. Auf sich selbst und darauf zu provozieren, sagt Stutz.
Kamerateams drängeln sich für ein Bild von dem Mann. Plötzlich rücken sie ab: Ein Leierkastenmann hat sich vor dem Eingang der Oper aufgebaut. Drei Minuten Ruhm für ihn. "Oh sind wir alle Sünder oder bin's nur ich allein", singt er zur Melodie von Brechts Mackie Messer. Eine Frau verteilt Flyer für ein chinesisches Neujahrsfest. "Mal ganz was anderes", sagt sie.
Neben Leierkastenmann und zwischen den vielen Journalisten gibt Polizeisprecher Bernhard Schodrowski Interviews: "Alles ruhig, keine Hinweise auf eine Bedrohung", sagt er. Friedliche Stimmung, aber hier vor der Oper würden die drei großen Freiheiten verteidigt: Drinnen die Kunstfreiheit, vor ihm die Pressefreiheit und der Mann mit dem Transparent der sei der Vertreter der Religionsfreiheit. Er schmunzelt.
Kunstfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit
Es sollte das ganz große Signal werden - ein gemeinsames Aufstehen gegen das Einknicken vor einer potenziellen islamistischen Bedrohung. Bundesinnenminister Schäuble hatte sich angekündigt und wollte die muslimischen Teilnehmer seines Islamgipfels gleich mitbringen. Vor drei Monaten hatte die Intendantin der Berliner Oper "Idomeneo" abgesetzt. Die Entscheidung von Kirsten Harms nach der Gefahrenanalyse des LKA wurde als Schwäche gewertet, als Zurückweichen vor einer Gefahr, die noch nicht einmal konkret war. Bis vor drei Monaten hatte die Oper kaum jemanden interessiert. "Idomeneo kannte doch vorher niemand", sagt eine Frau, die vor der Oper wartet.
Nach und nach trudelt die Berliner Prominenz ein. Die Biltzlichter der Fotografen reflektieren in den silbernen Talern, die zum Schmuck an der riesigen Front des Gebäudes der Berliner Oper hängen. Erst kommt der Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck, dann die Anwältin Seyran Ates. Staeck sagt, dass sein Besuch "eine ganz normale Tat" sei. Wichtig sei jetzt, dass ein Stück Normalität einkehre.
Normalität herrscht drinnen nicht. Denn um 19.15 Uhr, fünfzehn Minuten bevor die Oper anfangen soll, kommt Klaus Wowereit. Seine Personenschützer kämpfen ihn durch die Menge der Fernsehleute. Im Foyer bleibt der Regierende Bürgermeister kurz stehen: Einer Gruppe Schüler aus dem Musikleistungskurs ruft er zu: "Na müsst ihr hierhin oder freut ihr euch schon?" Mädchen kichern.
Handy ausschalten, Handy einschalten
Wowereit rauscht ab, vorbei an den Sicherheitskontrollen. Dort haben sich inzwischen lange Schlangen gebildet. Eine Frau mit langem Mantel liest Martin Walsers "Ehen in Philippsburg". "Ist ja wie bei der WM", ärgert sich eine Wartende. Tatsächlich verläuft die Sicherheitskontrolle schleppend. Handys müssen ein und aus geschaltet werden, Taschen ausgekippt, Schuhe abgetastet. Zwei Damen referieren inzwischen den Inhalt der Oper. Ein älterer Herr ärgert sich darüber, dass die Oper überhaupt wieder aufgeführt wird. "Müssen wir denn den Terroristen einen Vorwand geben?", fragt er. Was, wenn jetzt morgen im Irak oder in Afghanistan Islamisten die Aufführung Idomeneos zum Anlass nähmen, um unschuldige Menschen zu ermorden?
Oben, im ersten Stock, gibt Kirsten Harms der 3sat-Kulturzeit Interviews. Bei der Bar stehen der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland Kenan Kolat und Berlins Innensenator Ehrhart Körting. Körting sagt, er, als großer Mozartfan, sei vor allem da, um die Oper zu sehen. Bislang kenne er die Inszenierung nicht. Dann doch noch ein bisschen politisches Statement: "Natürlich ist die Wiedereinsetzung der Oper ein politisches Zeichen. Es geht hier um Kultur und nicht um Christentum oder Islam", sagt Körting. Und selbstironisch fügte er hinzu: Nachdem er auch am Anfang an der Angelegenheit beteiligt gewesen sei, müsse er ja auch heute Präsenz zeigen.
Um zwanzig Uhr dröhnen die Glocken durch das Gebäude der Deutschen Oper. "Idomeneo" kann beginnen, drei Monate und dreißig Minuten zu spät.