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NHL-GOALIE GIGUERE

Anaheims mächtigste Ente

Von Tomas Lansky

Einem Spieler haben die Mighty Ducks of Anaheim den Einzug in die NHL-Endspielserie ganz besonders zu verdanken. Torwart Jean Sebastien Giguere spielt die Saison seines Lebens. Am Kanadier in Diensten des kalifornischen Teams scheiterten die Stürmer gleich reihenweise.


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Jean Sebastian Giguere: Stürmer verzweifeln an dem Ducks-Goalie


Der 10. April 2003 dieses Jahres wird Jean Sebastian Giguere unvergessen bleiben. Gleich in seinem ersten NHL-Playoffspiel stellte der Torhüter der Mighty Ducks of Anaheim einen Rekord auf und brachte den amtierenden Meister und turmhohen Favoriten Detroit Red Wings zur Verzweiflung. 64 Schüsse hagelten auf das Tor des 26-Jährigen. Davon allein 36 in den drei Verlängerungen, die es brauchte, bis die Red Wings einsahen, dass Giguere einfach unbezwingbar war und durch ein Sudden-Death-Goal verloren. "Ich liebe es, wenn viel auf mich geschossen wird, das macht richtig Spaß", war Gigueres nüchterne Bemerkung.
Seitdem überschlagen sich Ereignisse und Rekorde für den jungen Franko-Kanadier, der Tradition und Stil der Goalie-Schule aus Montreal repräsentiert: Patrick Roy, Martin Brodeur und nun Giguere. Bereits vor 14 Jahren bekam der damals Zwölfjährige Roys Torwartschläger - zugegebermaßen wird es nicht der einzige Roy-Stock gewesen sein, der zu den Nachwuchs-Goalies wanderte. Gigueres Aufstieg war langsam und unspektakulär. Erst vergangenes Jahr wurde er bei einem der schwächeren Teams der Liga die Nummer eins. Die Mighty Ducks schenken ihrem Besten während der Saison alle zwei Wochen sieben Tage Sondertraining mit dem Besitzer der Goalie-Schule.

Nach den Detroit Red Wings, die in schierer Verzweiflung gegen Giguere nichts zustande brachten und ein einem Champion unwürdiges Ende mit 0:4 Siegen fanden, kam die beste Mannschaft der Western Conference dran. Fast verständlich, denn noch immer nahm keiner die Mighty Ducks of Anaheim ernst. Was bei dem Namen verständlich ist. Während sich andere Eishockey-Neugründungen Anfang der neunziger Jahre Sharks, Panthers oder zumindest Avalanche nannten, klingt "mächtige Enten" eher schlapp und ohnmächtig. Das neben dem Vergnügungspark Disneyland beheimatete Team wurde nach einer fiktiven Loser-Mannschaft benannt, die in einem - selbstverständlich - von Disney produzierten Film wie durch ein Wunder Jugendmeister wird.

Keine Aktionen für die Galerie

Auf diesem Aschenputtel-Weg konnten auch die Dallas Stars die Anaheimer Enten nicht aufhalten. Wieder war das erste Spiel vorentscheidend. In Dallas, wie davor in Detroit, spielte ein Offensiv-Feuerwerk gegen eine Abwehr, die wie eine Wand stand. Der eher schmächtige Giguere, dem aber nachgesagt wird, mit der Größe und Breite seiner Ausrüstung oft an der Grenze des Erlaubten zu sein, hielt seine mächtigen Schultern in den Weg des Pucks. Als zweimal auch das nichts half, kickte er in einer unglaublichen Reflexbewegung den schon ins Tor schliddernden Puck von der Torlinie weg. Der bereits ausgestoßene Jubelschrei von Dallas-Spieler Mike Modano endete in schierer Verzweiflung.

Dieses Spiel endete erst im achten Drittel, nachdem Giguere wieder 60 Schüsse abgewehrt hatte. Nach fünf Verlängerungen trugen die Mighty Ducks den Sieg und ihren Goalie aus der Arena des Gegners davon. Gigueres unaufgeregtes Spiel frisst sich bei den Gegnern im Kopf fest. Schon gibt es den Ausdruck "Jigged", wenn ein Team an Gigueres Spielweise scheitert, von dem er selbst sagt, dass jede spektakuläre Aktion seinerseits ein großer Fehler sei.


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Begehrter Mann: Giguere (l.) mit TV-Ikone Jay Leno


Mit dem 4:2 der Enten gegen die Stars begann Gigueres Rekordlauf in die Hockey-Geschichte erneut. Gegen das zweite Sensationsteam dieser Playoffs, die Minnesota Wild, musste er sich fast weniger anstrengen. Die Wild waren nach zwei sensationellen 4:3-Siegen, nachdem sie jeweils 1:3 zurückgelegen hatten, so ausgepowert, dass sie dem Duck-Keeper erst im vierten Spiel überhaupt einen Puck ins Tor schoben. Da war eigentlich alles schon entschieden. Auf dem Weg zum 4:0 der Ducks blieb "JSG" die unglaubliche lange Dauer von 217 - im Gegensatz zu Fußball tatsächlich gespielten - Minuten ohne Gegentor.

Vor der am Dienstag begonnenen Finalserie gegen die New Jersey Devils glänzten bei Giguere zwei magische Zahlen in seiner Statistik: 1,22 und 0,960. Die erste Ziffer als Zahl der Gegentore pro Spiel, die zweite als 96-prozentige Erfolgsquote - 476 von 496 Schüssen auf sein Tor konnte der Ducks-Torwart abwehren.

Giguere, der Wundeknabe im Tor des Disney-Vereins, wirkt derzeit unerreichbar. Ein Mann trägt ganz allein eine sympathische, aber mittelmäßige Truppe aus einer Vorstadt von Los Angeles zur Meisterschaft? Dies war bisher keinem anderen Goalie gelungen, auch nicht dem einzigartigen Dominik Hasek, der sein Außenseiterteam, die Buffalo Sabres, vor vier Jahren de facto alleine ins Endspiel gebracht hatte, dann aber gegen Dallas verlor. Wer die drei Runden der Stanley-Cup-Playoffs als krasser Außenseiter übersteht, bricht normalerweise im Finale gegen den Favoriten ein.

Nicht anders ging es den Anaheim Mighty Ducks beim ersten Spiel des Finales am Dienstag in New Jersey. Ein munteres Scheibenschießen Anfang des zweiten Drittels, als Slapshots im Sekundentakt auf Giguere einprasselten, war der Anfang vom Ende. Im Spiel zweier defensiver Teams bedeutete dies die 0:3-Niederlage der Ducks. Die elf Tage Zwangspause zwischen ihrem eigenen Erfolg gegen Minnesota und dem dramatischen Sieg der Devils im siebten Spiel gegen Ottawa ließen das Spiel der Enten erlahmen. Da konnte auch ein wieder fast sensationeller Giguere nicht helfen. Die Ducks haben aber noch mindestens drei Spiele Zeit, zu ihrer Form zu finden. Am Donnerstag geht es weiter.