ARD-”Sportschau”
Alaaf gegen Helau
Von Jürgen Kaube
07. August 2005 Es gibt einen Ort, an dem die Zeit nicht vergeht. Es ist nicht das Paradies, im Gegenteil, es ist - die „Sportschau”.
Ein Spiel, sagt man, dauert zweimal 45 Minuten. In der ARD-”Sportschau” dauern sechs Spiele, zusammengefaßt zu jeweils etwa sechs Minuten, von 18.10 Uhr 19.40 Uhr. Damit stellt die „Sportschau” all die vielbeklagten Spielfilmverlängerungen durch Werbeunterbrechung bei den Privatsendern bei weitem in den Schatten.
Es ging gar nicht los
Empirisch sieht das so aus: Die „Sportschau” beginnt mit einem Vorspann, der ankündigt, daß die „Sportschau” beginnt. Dann kam am Samstag ein zweiter Trailer zum Thema „Trimm dich durch Sport”, vermutlich um zu betonen, daß die „Sportschau” eine Sportsendung ist. Danach kam Werbung. Daraufhin noch ein Trailer. Dann jene Werbung, die als Sponsoring außerhalb der als „Werbung” angekündigten Werbung gesendet wird, zugunsten von Milch und Telefonen. Es folgte ein Trailer, in dem mehrere Fußballer das gleiche mitteilten, nämlich ihre Freude, daß es endlich wieder losgeht. Aber es ging gar nicht los. Weil wir nämlich lange keinen Trailer im engeren Sinne mehr hatten, folgt ein solcher. Aus dem Off erläutert eine weibliche Stimme den Satz, daß es wieder losgeht, dahin gehend, daß es sich nun um den ersten Spieltag handelt, alles ungeheuer spannend und aufregend wird und „Fußball vom Feinsten” zu erwarten sei.
„Das wird wieder Bundesliga vom Feinsten” hatte mittwochs zuvor auch WDR-Fernsehdirektor Deppendorf schon gewußt, damit allerdings nicht den Fußball gemeint, sondern die neue Optik der „Sportschau” loben wollen. „In diesem Sinne” beginnt nun Moderator Gerhard Delling - aber nicht die Sendung. Denn bevor es zum ersten Spiel kommt, folgt erst noch ein Bericht vom Show-Training der Bayern in der Allianz-Arena, dann werden Roy Makaays Tore vom Vortag gezeigt - das geschah auch schon in einem der Trailer, aber, sorry, wir haben vergessen, in welchem - und Michael Ballack wird ein weiteres Mal ergebnislos zu seinem Vertragspoker mit den Bayern gefragt. Dann kommen eine Moderation und das „Tor des Monats” samt Vorführung des Autos, das man gewinnen kann. Und dann kommt, nach einer kurzen Moderation - „Alaaf gegen Helau” (Delling) -, Köln gegen Mainz.
Der Zuschauer als Reiz-Reaktions-Ratte
Wir haben also, bevor wir die erste Spielminute sehen, gut zwanzig Nichtspielminuten und dreizehn Sende-Elemente hinter uns. Uns ist gesagt worden, was wir erwarten, was wir kaufen sollen, was jeder weiß - etwa, daß Ballack nichts sagt - und daß es gleich losgeht. Am Ende bestand die „Sportschau” am Samstag aus knapp fünfzig Unterbrechungen dieser Art. Wenn es nicht Fußball wäre, man würde sagen: In der antiken Tragödie wurden die Helden zum gemischten Vergnügen der Zuschauer damit gequält, daß all ihr Handeln zu nichts führte. In der modernen medialen Vergeblichkeitswelt werden umgekehrt die Zuschauer zum Nutzen der Stars, der Industrie und der Fernsehleute mit der ewigen Wiederkehr der gleichen geschwätzigen Vorenthaltung gequält.
Was für einen Zuschauer stellen sich Fernsehleute vor, die so etwas für „Bundesliga vom Feinsten” halten; gesetzt einmal, sie reden nicht bloß so geschwollen daher, um zu vertuschen, daß es nur darum geht, mit einem Minimum an Fußball ein Maximum an Werbeeinnahmen hereinzuholen, um die Einkaufskosten abzudecken? Es muß sich um einen äußerst vergeßlichen, durch nichts zu entnervenden, am kleinsten Spielbericht wie an einer Droge hängenden Zuschauer handeln, der seiner Gefühle aber so unsicher ist, daß man ihm sogar die Freude, Erregung, Spannung ständig aufs neue einhämmern muß. Alles, was man sieht, wird noch einmal in Worten ausgedrückt. Alles, was gesagt wird, wird wiederholt ausgesprochen, am besten erst vom Moderator, dann vom Reporter und dann noch einmal vom Spieler im Interview. Insofern folgt die Sendung der Werbung, die den Großteil an ihr ausmacht, denn auch von der Milch und den Telefonen wird uns im Verlauf der anderthalb Stunden je sechsmal gesagt, daß sie vom Feinsten sind, mitunter im Dreißigsekundenabstand, so als wären wir Reiz-Reaktions-Ratten im Gedächtnisexperiment von Doktor Skinner.
Kein Sportjournalismus mehr
Auf jeden Fall handelt es sich um einen Zuschauer, von dem man offenbar glaubt, daß er nichts vom Fußball versteht. Denn das eine ist die unwürdige, unerwachsene, klamaukhafte Form der Sendung. Das andere aber ist die Kapitulationserklärung der Berichterstattung, von der sie Zeugnis ablegt. Denn dieser Sportjournalismus ist keiner mehr. Die klassische Arbeitsteilung, daß der Sport unterhalten soll und der Berichterstatter erläutern, kommentieren, einordnen und bewerten, ist aufgehoben. Sachkunde fällt aus. Gerd Rubenbauer, der am Freitag das Spiel zwischen den Bayern und Mönchengladbach kommentierte, wußte mit keinem Wort zu sagen, was es mit den Aufstellungen der Mannschaften auf sich hatte. Versuche zu erklären, warum Gladbach auch gegen zehn Münchner nie in der Lage war, einen Angriffsplan zu entwickeln, wurden nicht unternommen. Es fällt ihnen zum Spiel einfach nichts ein, außer den Spielernamen.
In der „Sportschau” spielt man vor dem Stuttgarter Match lieber noch mal das „Was erlaube Strunz?”-Video, als die Zeit für Überlegungen zur Defensivtaktik Trapattonis zu nutzen. Auch Michael Antwerpes, der mit dem Trainer spricht, hat keine konkreten Fragen zum Fußball, weshalb man für Trapattoni auch keinen Übersetzer engagiert hat. Im Grunde will man ja nur den lustigen Radebrecher zu Gehör kommen lassen. Warum in der Abwehr von Hertha BSC überraschend Madlung statt Fahti spielte, das auch nur zu erfahren, mußte man Radio hören. Zu Hannover 96 fällt Moderator Delling ein, daß Hannover der letzte Auftaktsieg 1969 gelang, was - wir sind im Kinderfunk - mit Bildern von Apollo 11 illustriert wird. Und selbst die sekundenkurz gezeigte Liste der addierten Transfersummen bleibt völlig sinnfremd, wenn man weiß, daß Wolfsburg vier Millionen Euro für einen Herrn Hanke ausgegeben hat - vermittelt durch die Agentur „Strunz & Friends”, worauf die Zeitschrift „Rund” hinwies -, der HSV aber für 5,5 Millionen van der Vaart bekam. Aber es geht ja auch gar nicht darum, daß irgendwer den Sport oder die Geschäfte begreift, es geht ja nur darum, daß man die Summen bestaunt.
Verachtung des Publikums
Denn die Reporter, vor allem aber die Moderatoren verstehen sich als Teil des Zirkus, als letzte Station in einer Belieferungskette. Wie anders wäre sonst zu verstehen, daß die Fußballspiele angekündigt werden wie Überraschungspackungen, in denen sich schärfste Ware befindet - auch solche Spiele, von denen die Berichterstatter schon wissen, wie langweilig sie waren? Jede Neutralität gegenüber den Vorgängen ist aufgehoben. Der Fernsehsport ist ein Bewirtschaftungskontinuum, das über den Moderator, der sich mit den Sponsoren bestens versteht, zum Ko-Moderator führt, der mit Fußballrechten handelt, von dort zum Trainer, dessen Hemdkragen beim Interview mit einem Firmenlogo beschriftet ist, bis zum Spieler, dem Gelegenheit gegeben wird, für seine Gehaltsverhandlungen ein bißchen medialen Druck zu entfalten.
Während der Tour de France sagte ein ZDF-Moderator, man sende jetzt „ein paar Informationen aus Mainz” und melde sich dann wieder: Die Informationen bestanden aus den Mainzelmännchen und aus Werbung. Aus solchen Wendungen spricht eine Verachtung des Publikums, das für vollständig anspruchslos gehalten wird. Dabei dürfte das Sachinteresse gerade im Sportpublikum verbreitet sein. Sport kann jeder Fünfzehnjährige verstehen, und viele davon tun es auch. Warum liefert man ihnen nur Phrasen? Der Fußball ist populär, man muß ihn nicht durch Mätzchen dazu machen. Wer immer sich für die Sache selbst interessiert, sieht sich durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Nachfolge von Sat.1 auf den Besuch im Stadion, das Radio, eine Premiere-Sportbar und Lektüre verwiesen. Dort werden die Leute immerhin nicht für dumm verkauft.
http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E75C73065482449A3887D9A56160EB405~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Spiegelt genau meine Meinung wieder! Schaue zwar seit ich Premiere habe keine Sportschau mehr, aber diese Punkte waren damals genau der Grund, dass ich lieber extra bezahle, als mir diesen Mist zu geben.
Und ich hoffe wirklich, dass die Übertragungsrechte ab der kommenden Saison komplett an Premiere gehen. Durch diese exklusivrechte der zeitnahen Übertragung zahlen die natürlich deutlich mehr Geld und das ASS reicht sonst völlig, denn was Pfeiffen wie Rubenbauer, Simon, Beckmann, Delling & Co. aus dem Fußball machen ist aus meiner Sicht schon kriminell.
Pfui und danke für diesen Artikel!