*STELLUNGNAHME DES FANLADENS*
Wir sind erschüttert und entsetzt über den Einsatz der Polizei im
und am Fanladen am Freitag nach dem Erfurtspiel.
Wir haben mit unserem Vorstand und der Geschäftsführung des Verein
Jugend und Sport e.V. einen gemeinsamen Text entworfen, um der
steigenden Repressions-Spirale und verhärteter Fronten entgegen zu
treten. Diesen haben wir der Polizei-Einsatzleitung und der Ebene
darüber zugesandt mit der Bitte um Änderung in der Polizeitaktik.
Daraufhin kam keine Reaktion.
Deshalb veröffentlichen wir diese Stellungnahme jetzt hier und
hoffen auf eine öffentliche Reaktion und größeren Druck in Richtung
der Verantwortlichen für die Polizei-Einsätze der letzten Monate:
Zur Verhältnismäßigkeit der Einsätze und der Wertschätzung
langjährig etablierter Fanarbeit beim FC St. Pauli durch die
Hamburger Polizei
Stellungnahme des Fanladen St. Pauli, des Fanprojekts des FC St.
Pauli, zu den Vorfällen nach dem Heimspiel des FC St. Pauli gegen
Rot-Weiß Erfurt am Freitag, den 17.11.2006
Am Freitag, den 17.11.2006, kam es nach dem Heimspiel des FC St.
Pauli gegen Rot-Weiß Erfurt im Rahmen des traditionellen Marsches der
Fangruppierung Ultrà Sankt Pauli vom Stadion zum Fanladen St. Pauli in
der Brigittenstraße in dessen unmittelbarer Nähe zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizei.
Im Zuge des polizeilichen Einsatzes wurde massiv mit Schlagstöcken
und Pfefferspray sowohl gegen die TeilnehmerInnen des Marsches als
auch gegen Unbeteiligte und vermittelnde Fanprojekt-Mitarbeiterinnen
vorgegangen. Ebenso wurden Fans nach eigenen Angaben verschiedentlich
durch Beamte beleidigt und in teils drastischer Art und Weise verbal
bedroht.
Etwa eine Stunde später kamen circa 15-20 uniformierte Beamte in
Schutzausrüstung in den Fanladen, um von den noch etwa 10 anwesenden
Personen (inkl. der Fanladen-MitarbeiterInnen) die Personalien und
(teilweise auch von den Fanladen-MitarbeiterInnen) Fotos aufzunehmen.
Währenddessen hatten circa 50 Beamte das Gelände um den Fanladen
abgesperrt und jeglichen Durchgang verweigert. Die ursprünglich durch
den Leiter der Maßnahme im Fanladen geäußerte Begründung für das
Vorgehen lautete auf Strafverfolgung des Tatbestands Beleidigung, was
zu einem späteren Zeitpunkt durch den Einsatzleiter um die Tatvorwürfe
des schweren Landfriedensbruchs und versuchter schwerer
Körperverletzung erweitert wurde.
Selbstverständlich und als immanenter Teil unseres professionellen
Auftrags als kritisch-parteiliche VertreterInnen von Faninteressen
distanzieren wir uns deutlich von jeglichen gewalttätigen Handlungen
von Seiten der FußballanhängerInnen, wie Angriffe, bspw. in Form von
Flaschenwürfen auf Polizeibeamte. Solches Verhalten wird von uns
weder akzeptiert noch geduldet, und es liegt uns fern, Formen von
Gewalt zu verharmlosen.
Jedoch lassen uns sowohl alle Berichte und Eindrücke, die wir von
den Ereignissen und deren Entwicklung selbst gewinnen konnten, als
auch die Schilderungen von TeilnehmerInnen des Marsches –
St.-Pauli-Fans jeglicher Couleur und jeglichen Alters – sowie von
unbeteiligten AugenzeugInnen und BesucherInnen des Fanladens
übereinstimmend zu einem Schluss kommen, der uns veranlasst, die
Verhältnismäßigkeit des polizeilichen Vorgehens an diesem Abend in
seiner Massivität deutlich infrage zu stellen.
Bedauerlicherweise ist dies nicht zum ersten Mal geschehen. Die am
vergangenen Freitag erreichte Eskalationsstufe steht aus unserer
Sicht vielmehr für eine neue Qualität in einer ordnungspolitischen
Spirale repressiver Maßnahmen gegenüber zumeist jugendlichen
Fußballfans, die sich seit geraumer Zeit in Hamburg beobachten lässt.
Kurzfristigen, ordnungspolitischen Interventions-Strategien scheint
derzeit der Vorzug gegeben zu werden sowohl gegenüber deeskalierenden
polizeilichen Handlungsalternativen als auch gegenüber langfristig und
auf Nachhaltigkeit angelegten, sozialpräventiven Herangehensweisen der
Fanarbeit. Dies bestätigt sich in drastischer Form anhand der
Vorgehensweise im Zuge des Einsatzes in den Räumlichkeiten des
Fanladens und der dort vorgenommenen Personalienfeststellungen,
wodurch in besorgniserregender Art und Weise ein geschützter Raum
eines anerkannten freien Trägers der Jugendhilfe durch polizeiliche
Intervention missachtet wurde.
Diesem Schritt geht die Entwicklung voraus, innerhalb derer der
verantwortliche Polizei-Einsatzleiter uns mehrfach das Vertrauen in
unsere Arbeit abgesprochen sowie in Sicherheitsbesprechungen zu den
Heimspielen des FC St. Pauli die Unmöglichkeit einer konstruktiven
Zusammenarbeit mit dem Fanladen St. Pauli zum Ausdruck gebracht hat.
Dies geschah insbesondere aufgrund unserer Weigerung, vertrauliche
Informationen aus der Fanszene an die Polizei weiterzugeben.
Die Arbeit eines Fanprojekts gemäß dem „Nationalen Konzept Sport und
Sicherheit (NKSS)“, der Arbeitsgrundlage aller sozialpädagogischen
Fanprojekte in Deutschland zusammen mit dem Kinder- und
Jugendhilfegesetz SGB VIII, basiert auf der Herstellung eines
Vertrauensverhältnisses zu den Fans.
Schon allein angesichts des sehr negativ belasteten Verhältnisses
zwischen Fans und polizeilichen Organen im modernen Fußball kann und
darf Fanarbeit nur mehr nach beiden Seiten vermittelnd tätig sein,
aber keinesfalls zum verlängerten Arm ordnungspolitischer Instanzen
werden! Würden FanarbeiterInnen bspw. personenbezogene oder andere
vertrauliche Daten an die Polizei weiterleiten, würde dies zum
unweigerlichen Verlust der Vertrauensbeziehung zu den Fans führen.
Diese Arbeitsgrundsätze werden von Seiten des Fanladen St. Pauli
bereits seit über 16 Jahren aktiv und erfolgreich vertreten und
sollten auch der Polizei bekannt sein.
Die Diskreditierung unserer Arbeit im Rahmen der zunehmenden
ordnungspolitischen Einschränkung von Freiräumen für Fußballfans, wie
sie derzeit im Umfeld des FC St. Pauli zu beobachten ist, gibt uns zu
Befürchtungen Anlass, dass auch zukünftig mit einer Verhärtung der
Fronten und einer Steigerung der Eskalation gerechnet werden muss:
mit Zunahme der repressiven Interventionen und der Missachtung der
Arbeit des Fanprojekts werden unsere Handlungs- und
Vermittlungsspielräume zwischen den am Fußball beteiligten Gruppen
und Institutionen drastisch eingeschränkt.
Ein konstruktiver Austausch zwischen den Fanarbeitern und den
Sicherheitskräften sowie eine gegenseitige Akzeptanz beider
Arbeitsweisen sind uns daher grundsätzlich sehr wichtig. Leider
mussten wir jedoch in der Vergangenheit mehrfach die Erfahrung
machen, dass wir von Seiten der Polizei weder als gleichberechtigte
DiskussionspartnerInnen noch mit unserer – teils notwendigerweise
auch polizeikritischen – Expertenmeinung zur Fanszene des FC St.
Pauli und den Ursachen jugendkulturellen Verhaltens entsprechend
wahrgenommen und wertgeschätzt wurden.
In Anbetracht der gegenwärtigen Debatte um eine Zunahme der Gewalt
in den unteren Ligen wurde sowohl von der Bundesarbeitsgemeinschaft
der Fanprojekte als auch von Seiten des DFB und der DFL als
zuverlässigste Finanziers der Fanprojekte sowie von der
Bundesregierung die Notwendigkeit zu differenzierten, angemessenen
und anlassbezogenen Sicherheitskonzepten als auch die Stärkung von
präventiver Jugendarbeit im Fußball betont. Besonders wurde dabei für
eine sicherheitspolitische Entdramatisierung und für den Vorzug einer
sachlichen Analyse unter Einbeziehung von notwendigen Freiräumen für
und einem Dialog mit Fußballfans plädiert.
Ein polizeiliches Vorgehen, das die Prinzipien und die
Unterschiedlichkeit der Aufgaben von Fanprojekten und
Sicherheitsorganen nicht berücksichtigt, kann nicht akzeptiert
werden, vor allem da es kontraproduktiv für das Erreichen der Ziele
ist, die von allen beteiligten Institutionen (Politik,
Sicherheitsorgane, Vereine und Jugendhilfe) bei der Einrichtung von
Fanprojekten schriftlich festgelegt wurden.
Entsprechend erwarten wir von Seiten der Hamburger Polizei ein
Umdenken in der Polizeistrategie und eine Anerkennung der Grundsätze
von Fanprojektarbeit als wesentlichen Beitrag zum gemeinsamen
Interesse: einem friedlichen Verlauf der Fußballereignisse. Die
Handlungsweisen des Fanladens sollten folglich respektiert werden und
nicht – wie geschehen – die Erfolge langjähriger Arbeit durch
einseitige ordnungspolitische und repressive Schnellschüsse
torpediert werden.
Friedfertige Heimspiele können nur durch ein Miteinander erreicht
werden – in unbedingter Anerkennung bestehender
Selbstregulierungsmechanismen innerhalb der Fanszenen und Strukturen
von professioneller Fanarbeit. Auch auf bundesweiter Ebene zeigt sich
übereinstimmend, dass überall dort, wo eine entsprechende
Wertschätzung und eine Kooperation auf Augenhöhe, insbesondere
zwischen Polizei und Fanprojekt, gegeben ist, auch spürbar bessere
Zustände in den Fankurven in Bezug auf Gewalt und Rassismus
festzustellen sind.
Bedauerlicherweise sehen wir nach den Vorfällen von letztem Freitag,
nach den Entwicklungen der letzten Monate und den entsprechenden
Äußerungen des Einsatzleiters derzeit keine Möglichkeit zu einer
weiteren Kooperation mit der Hamburger Polizei, solange nicht der
jüngste Einsatz von Seiten der Verantwortlichen uns gegenüber
kritisch reflektiert und fehlerhafte Vorgehensweisen eingeräumt
werden konnten. Ebenso halten wir es für unabdingbar, dass sich die
besagten polizeilichen Stellen in Hamburg eingehender mit den
spezifischen Aufgaben von Fanprojekten vertraut machen.
Entsprechend werden wir bis dahin die Teilnahme an den
Sicherheitsbesprechungen vor Heimspielen aussetzen und gegenüber der
Polizei auch für keinen weiteren Austausch zu aktuellen Entwicklungen
und Ereignissen in der Fanszene des FC St. Pauli zur Verfügung stehen.
Ansonsten wird der Fanladen St. Pauli auch weiterhin seine kritische
Arbeit mit und für die Fanszene des FC St. Pauli in der gewohnten
Qualität fortsetzen. Zudem werden wir zukünftig die polizeilichen
Einsätze rund um die Heimspiele des FC St. Pauli durch einen Anwalt
als neutralen Beobachter begleiten, dokumentieren und anlassbezogen
bewerten lassen.
Hamburg, 21.11.2006
Sollte es keine Antwort geben oder unsere Arbeit weiterhin ignoriert
und missachtet werden, behalten wir uns andere Möglichkeiten des
friedlichen Protestes vor.
/Die Stellungnahme findet ihr auch auf der Homepage des Fanladens:
http://www.jugend-sport.de/stpauli-fanladen/index.html/