13 Gründe für die Krise der Straubing Tigers
Einen solchen Abschied hatte Erich Kühnhackl in Straubing wahrlich nicht verdient, dennoch war er unabdingbar. Die Fans verließen am Freitagabend nach ihren massiven Protesten, mit denen sie beim 1:4 gegen Schlusslicht Duisburg ihrem Team ordentlich den Kopf wuschen und den Trainer stürzten, als Gewinner das Eisstadion am Pulverturm. Trotzdem wird der Neuanfang unter einem neuen Coach, der nun fieberhaft gesucht wird, nicht einfach.
Denn die Straubing Tigers stecken in der DEL im verflixten zweiten Jahr (fest). Eine gedämpftere Euphorie, gestiegene Erwartungen und eine fehlende Geduld im Umfeld etwa reichen alleine als Erklärungen für die Krise, die sich derzeit mit Platz 14 in weiter Ferne von Wunschrang zehn und in der Entlassung von Erich Kühnhackl dokumentiert, allerdings nicht aus.
Hockeyweb nennt in einer ausführlichen Analyse die vielfältigen Gründe für das Scheitern von Erich Kühnhackl und die Krise in der Gäubodenstadt:
1. Der Traum von Platz zehn
Die Tigers haben sich keinen Gefallen damit getan, „möglichst lange um Platz zehn mitspielen zu wollen“, als Saisonziel auszugeben und vor allem dies in der Öffentlichkeit in die Köpfe zu zementieren. Zwar wies Ex-Coach Erich Kühnhackl auf die Schwierigkeit dieser Aufgabe oftmals und auch mit Nachdruck hin, besser wäre es allerdings gewesen, wenn Rang zehn erst gar nicht über seine Lippen, die seiner Vorgesetzten und auch der Spieler gekommen wäre. So ist die Saison in der öffentlichen Wahrnehmung bereits jetzt im November praktisch gelaufen. Mit dem „Wünsch dir was“-Saisonziel hat man als kleinster Ligastandort die Messlatte selbst zu hoch gelegt. Vorbei waren die Zeiten, in denen das Team befreit spielen konnte, ohne ständig auf die Tabelle schielen und den zusehends wachsenden Rückstand auf Rang zehn (jetzt 15 Punkte) zählen zu müssen.
2. Zeitpunkt für den Trainerwechsel verpasst
Wenn es einen sinnvollen Zeitpunkt für einen Trainerwechsel gegeben hätte, wäre dieser unmittelbar nach der Länderspielpause Anfang November nach bereits sieben Niederlagen in Folge und einem wiederholten Auftreten des Teams ohne Leidenschaft und Moral gewesen. Der neue Coach hätte 13 Tage gehabt, um die Mannschaft kennenzulernen und nach seinen Vorstellungen auf Kurs zu bringen. Erich Kühnhackl, dem indes in einer Gesellschafterversammlung der Tigers GmbH weiterhin das Vertrauen ausgesprochen worden war, gelang es dagegen nicht mehr, die spielfreie Zeit in diesem Sinne zu nutzen. Die Trennung von ihm erfolgte nun nur drei Spiele und sechs Tage nach der Länderspielpause - drei Wochen zu spät.
3. Keine Konstanz
Die Straubing Tigers zeigten im Saisonverlauf so gut wie keine Konstanz in ihren Leistungen. Guten Spielen folgten unmittelbar schlechte, schlechte Spiele häuften sich zusehends. Während andere Teams in Schwung kamen, baute Straubing ab und verlor das Selbstvertrauen. Dabei sah es zu Saisonbeginn noch gut aus (zehn Punkte aus den ersten fünf Spielen) und selbst in der Vorbereitung gab es vielversprechende Ansätze. Kölns Trainer Doug Mason sagt: „Wir haben beim Turnier in Bremerhaven gegen Straubing gespielt. Dort hatten sie einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht.“ Mit der zunehmend fehlenden Stabilität ging auch ein Verfall der Leistungen in Über- und Unterzahl einher, dabei hatten die Tiger zwischenzeitlich zum Beispiel das viertbeste Penalty Killing der Liga.
4. Personalie Cam Severson
Der Kanadier stieg in der letzten Saison nicht nur wegen seiner 14 Treffer, sondern vor allem auch wegen seinem Kampfeswillen zum Publikumsliebling auf. In dieser Saison kam er nicht in Tritt. Die Club-Verantwortlichen verloren das Vertrauen in ihn und auch die Geduld, die Erich Kühnhackl für sich selbst so gerne einforderte. Die Misere mündete in einer fristlosen Kündigung, nachdem der Ex-NHL-Spieler offenbar nicht mehr die mentale Stärke hatte, um sich selbst zu retten und vielmehr die Nerven verlor. Etwas mehr Rückendeckung, auch vom Ex-Coach, hätte Cam Severson helfen können. Immerhin war er einer von denen im Team, die sich mit dem Straubinger Eishockey identifizierten. Eine zweite Chance unter neuen Vorzeichen wurde ihm mangels eines früheren Trainerwechsels, eben zur Länderspielpause, verbaut. Die Trennung war zwar nachvollziehbar, hatte aber einen faden Beigeschmack, auch wegen der so früh aufgegebenen Ausländerstelle. Das tut jetzt weh.
5. (Nicht-)Lizenzierung von Billy Trew
Den Kanadier selbst trifft keine Schuld. Der dienstälteste Straubinger wollte mit seiner Einbürgerung nur Gutes bewirken, für sich und das Team. In der Hoffnung auf einen baldigen deutschen Pass wurde er Anfang September zunächst nicht lizenziert und zu Beginn der Punktspielsaison nach Landshut abgeschoben. Für Billy Trew war die Situation psychisch belastend, für die Mannschaft war er ein Verlust. Deshalb lizenzierte man ihn schließlich schon bald doch als Ausländer, die letzte Legionärsstelle war damit frühzeitig verschossen, die Option auf eine weitere Verstärkung durch einen Legionär im Saisonverlauf zu einer Krisensituation wie der jetzigen verbaut. Dass es zwischenzeitlich einen überzähligen Ausländer und einen verschärften Konkurrenzkampf gab, sorgte für zusätzliche Unruhe und brachte nicht den erhofften positiven Effekt. Die Tigers waren sich des Risikos bewusst, haben sich aber mit diesem Fall schlichtweg verpokert. Auf seinen deutschen Pass wartet Billy Trew übrigens immer noch.
6. Enttäuschende Neuzugänge
Die Liste der Neuzugänge, die hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, ist lang. Vor allem der als Top-Verteidiger geholte Andy Canzanello floppte. Bitter enttäuschend auch Ex-Nationalspieler Anton Bader. Ebenso wurde Eric Meloche, in der letzten Saison noch in der NHL aktiv, seiner Rolle nicht gerecht und verzettelte sich zuletzt immer mehr in Fouls und Strafzeiten. Diese „Ausfälle“ sind für ein Team wie die Straubing Tigers nicht zu kompensieren. Das Planspiel mit diesen Akteuren, die sich in ihrer Rolle bei einem Underdog der DEL mit mehr Verantwortung nicht zurechtfanden, als Leistungsträger ging nicht auf. Mit Ausnahme von Greg Schmidt sind die aus der zweiten Liga geholten Cracks nur Mitläufer. Vermeintliche Mitstreiter auf Augenhöhe wie Augsburg und Iserlohn hatten für diese Saison um einiges effektiver eingekauft und sind nun auch deshalb mehrere Schritte weiter.
7. Weitere Enttäuschungen
Nicht nur die Neuzugänge schöpften ihr Potenzial nicht aus, auch erhoffte Leistungsträger, die schon in der letzten Saison zum Team gehörten, bauten ab. Allen voran ist hier Tobias Abstreiter zu nennen. Der Ex-Nationalspieler war nach einer schweren Verletzung in der letzten Saison und gesundheitlichen Problemen in dieser oft nur noch ein Schatten seiner selbst.
8. Charakter
„Wir haben Charakter - Und Ihr?“, fragten die Fans am Freitag beim Schicksalsspiel. Zwar attestierte Ex-Coach Erich Kühnhackl, der sich stets vor seine Jungs stellte und ihnen in der Krise den Rücken freizuhalten versuchte, seinem Team dieser Saison einen „guten Charakter“, aber eben auch keinen besseren als der Mannschaft der letzten Saison, die einen sensationellen zwölften Platz erreicht hatte. Dass die Truppe dieser Spielzeit einer Charakterprobe nicht standhalten kann, zeigte das Spiel Anfang November in Iserlohn (0:3), als man vor 750 per Sonderzug mitgereisten Fans jede Leidenschaft und jedes Aufbäumen vermissen ließ. Angesichts der bereits dort aufgetretenen Fanproteste musste man sich schließlich auf der Rückfahrt bei den Anhängern entschuldigen, um die Gemüter wieder einigermaßen zu beruhigen. Dass es innerhalb der Mannschaft Probleme gibt, zeigte sich schon früh in der Saison, als im Training Greg Schmidt und Andy Canzanello aneinander gerieten. Über die Vorfälle um Cam Severson und einen jüngsten Streit zwischen Markus Jocher und Anton Bader setzte sich das Reizklima fort.
9. Defensive - Kein Rückgrat
Dass mit Torhüter Mike Bales sowie dem Verteidigerpärchen Sepp Lehner und Calvin Elfring drei Cracks aus dem Zweitliga-Aufstiegsteam weiterhin die unverzichtbaren Säulen der Hintermannschaft sind, spricht für sich. Die Neuen Anton Bader, Andy Canzanello und Wade Skolney stellen im Summenvergleich mit den Abgängen Matt Kinch, Peter Casparsson und Christoffer Norgren keine Verstärkungen dar. Dem Schweden Andreas Moborg ist dagegen wie Jung-Verteidiger Stephan Wilhelm kein Vorwurf zu machen. Beide spielen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, sind als ehemalige Zweitligaspieler aber auch am Limit. Die Defensivabteilung hat aber insgesamt nicht die Qualität für ein Rückgrat des Straubinger Spiels, so musste auch der zwischenzeitliche Versuch von Erich Kühnhackl, seinem Team ein verbessertes Defensivverhalten beizubringen, scheitern. Auch konnte man sich immer weniger des Eindrucks erwehren, dass gerade die taktischen Anweisungen des Ex-Coachs in der Defensive für mehr Verunsicherung denn Sicherheit sorgten. Die letzten Auswärtsspiele in Nürnberg, Iserlohn und Köln gingen jeweils nach einer frühen Auszeit (endgültig) verloren.
10. Amtssprache Deutsch
Angesichts mehrerer Deutschland-Neulinge war die von Erich Kühnhackl gepflegte und im Training angesagte Amtssprache Deutsch nicht gerade kommunikationsfördernd. Was in der letzten Saison noch gut ging, war jetzt ein Hemmschuh. Ein Assistenz mit nordamerikanischen Basics hätte hier helfen oder mehr Neuzugänge mit Deutschland-Vergangenheit den Betriebsablauf unter diesen Vorzeichen reibungsloser machen können.
11. Fitness kein Faktor
Eine nennenswerte Verletztenmisere blieb bei den Tigers bis vor kurzem aus. Man setzte, und das auch dank guter Arbeit des medizinischen und physiotherapeutischen Teams, über weite Strecken erfolgreich auf Prophylaxe. Nur auf dem Eis konnte man daraus keinen Kräftevorteil erzielen. Selbst mit vier kompletten Blöcken agierend wirkte sich das in den Spielen nicht zu Gunsten der Tigers aus.
12. Nur ein wirklich herausragender Stürmer
Mit Eric Chouinard verfügen die Tigers nur über einen Angreifer mit höheren Ansprüchen genügendem Talent. Der Führungsspieler nach eigenem Anspruch ist zu sehr damit beschäftigt, seinen Teamkollegen zu helfen, als dass er selbst Hilfe, zündende Ideen oder Kreativität von diesen erwarten kann. So findet er sich in der Rolle eines bedauernswerten Häuptlings wieder. In der Liga ist Straubings Topscorer wohl der Tiger, der den größten Respekt bei den Gegnern genießt. Kölns Trainer Doug Mason beschreibt Eric Chouinard zum Beispiel als „gut, groß, stark und gefährlich“.
13. Offensive - Kein Knipser
Last but not least! Das Problem im Abschluss ist kein Neues, auch in der letzten Saison trat dieses schon auf. Den Straubing Tigers fehlt ein echter Knipser, sie schießen die wenigsten Tore der ganzen Liga. Da kann selbst Schlusslicht Duisburg als Vorbild dienen. Die Füchse zauberten in der Vorsaison Matt Dzieduszycki als einen echten Goalgetter aus dem Hut und konnten diesen nun durch den aus der East Coast Hockey League gekommenen Adam Courchaine adäquat ersetzen. Bei Straubing strahlen mit Eric Chouinard und Billy Trew nur zwei Angreifer echte Gefahr im Abschluss aus, das wiederum macht die Tigers recht ausrechenbar. Die Probleme mit Cam Severson, der in der letzten Saison noch 14 Tore erzielt hatte, trugen ihr Übrigens dazu bei. Die meisten Schüsse kommen bei den Niederbayern übrigens nicht von den Stürmern, sondern von den Verteidigern Sepp Lehner und Calvin Elfring. Bezeichnend für dieses Problem.
Was kann ein neuer Coach bewirken?
Ein frischer Wind wird gut tun. Die Spieler können und müssen sich neu beweisen. Dass sich das Blatt umgehend wendet, ist aber nicht zu erwarten. Das liegt alleine schon am demoralisierten Team, das zunächst ein paar Streicheleinheiten und kleine Erfolgserlebnisse braucht, und an den Gegnern, die nun mit Mannheim, Düsseldorf, Berlin und Köln ins Haus stehen. Für einen sofortigen Aufschwung erscheint die Mängelliste als zu lang.
Viele Baustellen bieten allerdings viele Ansatzpunkte und wenn der neue Trainer es versteht, an den richtigen Stellen anzusetzen, dann werden die Straubing Tigers auch wieder Spiele gegen die Großen - wie zu Beginn der Saison - enger gestalten und Punkte sammeln können. Spieler mit einem Kämpferherzen, dazu zählen neben den verbliebenen Akteuren aus der Aufstiegssaison auch Chad Bassen, Sepp Menauer, Markus Jocher und Christian Retzer, haben sie in ihren Reihen. Sogar Andy Canzanello, Wade Skolney, der sich unter Erich Kühnhackl vom Rauhbein in Übersee zu einem zahmen Kätzchen entwickelte, und Eric Meloche könnten unter einem Mann an der Bande, der ihre Sprache - und das in doppelter Hinsicht - spricht, wieder aufblühen.
Fest steht: die Mannschaft kann mehr, als sie in den letzten Wochen gezeigt hat. Die Antwort auf die Frage, wie viel mehr Potenzial wirklich in der Truppe steckt und ob das für mehr als Platz 14 reicht, muss der neue Trainer mit seiner Arbeit geben.
http://www.hockeyweb.de