Dr. Strangelove hat geschrieben:Wer bereitwillig einen Fachisten und seine faschistischen Kumpels vom Flügel wählt, der flieht nicht von der Mitte, sondern hat einfach Bock, Nazis seine Stimme zu geben. Die CDU und SPD ernten, was sie gesät haben, aber mit ein bisschen Politikverdrossenheit oder Protestwahl hat sowas halt auch nichts mehr zu tun.
Ich bleibe dabei, dass dem nicht bzw. nur in Teilen so ist. Es ist zwar fürchterlich, aber eben fürchterlich demokratisch. Ich habe zwar bis heute noch nicht richtig verstanden, wie Demoskopie genau funktioniert, aber in Thüringen scheint wohl der Faktor Höcke nicht die Bedeutung zu haben, die man ihm beimisst. Höcke selbst ist wohl in jeder demoskopischen Studie hinter den Werten der Partei und hat auch seinen eigenen Wahlkreis deutlich verloren. Und nachdem sich die AfD-Werte nicht so signifikant von denen in Brandenburg und Sachsen unterscheiden, kann man vermutlich daraus schließen, dass die AfD eher trotz Höcke als wegen Höcke gewählt wurde, was natürlich nicht bedeutet, dass es nicht eine Reihe von Menschen gibt, die dessen Ideologie teilen. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass sicher nur ein kleiner Teil in "Mittäterschaft" gezogen werden muss. Klar, wehret den Anfängen, aber von Politikverdrossenheit keine Spur. Wenn man sieht, wie die NSDAP von 1920 bis 1930 bedeutender wurde, dann ging es auch relativ langsam los. Die Weltwirtschaftskrise war zwar etwas Handfestes, aber die Verantwortung dafür im "Finanzjudentum" zu suchen, war relativ konstruiert. Mir ist durchaus bewusst, dass man politische Strömungen ernst nehmen sollte, aber heute gibt es ein völlig anderes Korrektiv.
Auch wenn es unterm Strich dasselbe Ergebnis hat, unterscheide ich zwischen Menschen, die keine Ausländer wollen, weil sie Angst vor ihnen oder dem Fremden an sich haben oder ob sie Ausländer hassen und als geringwertig ansehen. Mit dem ersten Teil muss ich reden und ihn überzeugen, den zweiten Teil muss ich bekämpfen. Gerade im Osten glaube ich aber, dass der erste Teil der größere ist. Wenn der erste Teil der Meinung ist, die AfD sorgt dafür, dass die Ausländer das Leben der Bürger nicht mehr negativ beeinflussen können, weil sie eben gar nicht da sind, zeugt das doch eher von der Abstraktheit dieser Angst, da die Zahl derer, die angeblich so viel Angst und Schrecken verbreiten, ja extrem niedrig ist. Es liegt daher wohl eher an der eigenen, als schlecht empfundenen Situation, für die der Fremde und die politische Elite verantwortlich gemacht werden. Ich habe das an anderer Stelle schon mal geschrieben, im Tierreich herrscht gegenüber fremden Rassen im besten Fall ein Misstrauen, dass eventuell eine Gleichgültigkeit nach sich zieht, wenn die Erfahrung zeigt, dass die Rasse den eigenen Bestand nicht gefährdet. Die beiden entscheidenden Werte sind Erfahrung und Intellekt. Gerade im Osten fehlt ersteres oft und letzteres hat etwas mit einer gewissen Mündigkeit zu tun, die man dem Ossi oft abspricht. Die politische Gegenkultur kommt logischerweise von rechts, wenn man über Jahre von einem totalitären Linksregime beherrscht wird. Analog dazu hatten beispielsweise in der BRD die Mitglieder der RAF durchaus auch in bürgerlichen Kreisen großen Zuspruch. Da wurde zwar das Morden verurteilt, ideologisch waren aber Nazizeit und Vietnamkrieg gegenwärtig. Hier die Gegenkultur von links.
Die Jahre der Sozialisierung sind prägend für das Weltbild. Wenn ich mal mich nehme, in der ersten Hälfte der Sechziger geboren, die Eltern konservativ und der CSU zugetan, Mitte der Siebziger Jahre im Gymnasium, das ja von allen Schulformen am ehesten regierungskritisches Denken zulässt oder durch die Lehrerschaft sogar fördert, Mitte bis Ende der Siebziger als großer Musikliebhaber in das Umfeld von Punk und New Wave geraten, das ja auch zumindest in England immer politisch und mit der Kritik an Thatcher verknüpft war. Mein Aufbegehren konnte nur Links bedeuten. Und dann die Gründung der Grünen, deren Hauptanliegen nicht nur das Verhindern von AKW, sondern der Erhalt der Umwelt war. Nur für diejenigen, die die Anfänge des Umweltschutzes Greta Thunberg zuschreiben. Und bis heute ist mir das geblieben. Ich wurde mit den Jahren ein großer Befürworter der Politik Merkels, würde mir aber eher die Hand abhacken, als einer Partei meine Stimme zu geben, die rechts der SPD steht. Und so ist auch der gesamte Osten von seiner Vergangenheit geprägt. Da ist die Tatsache, dass die AfD die stärkste Partei bei den unter 30-jährigen ist, nur logisch. Diejenigen, die den strukturschwachen Osten nicht verlassen haben und u.U. auch zu den Verlierern des Systems zählen, bilden sich ihre Meinung aufgrund konkreter Lebenssituationen und abstrakten Heilsversprechen und einfacher Lösungen. Ich bin immer noch überzeugt, dass 75 bis 80 Prozent aller Wähler der AfD fassungslos wären, wenn sie deren politische Vorstellungen umgesetzt sähen bzw. erlebten.
https://www.afd.de/grundsatzprogramm/
Da wird's dir stellenweise schlecht, aber welcher Wähler der Linken hat denn deren Parteiprogramm gelesen? Meinungsbildung funktioniert heute doch ganz anders. Abschließend glaube ich nicht, dass hier mehr als 20 Prozent verkappter Nazis ihresgleichen wählen, um endlich die Republik aufzumischen. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Widerstand, Unwissenheit, Dummheit, Faulheit, Enttäuschung und auch einem Teil Fremdenhass. Auch, aber eben nicht nur. Die Denkweise von Ossis und Wessis ist einfach zu verschieden. Und vermutlich wird das auch noch einige Jahre so bleiben. Die Einwohner Hong Kongs würden das vermutlich verstehen. Denen hat man auch vor ein paar Jahren erklärt, sie wären jetzt Chinesen. Und würde Kuba jetzt die frühere BRD annektieren, es wäre auch nicht ganz einfach.
Und was die Linke und ihre Vergangenheit betrifft, ist der Hinweis des Augsburger Punker zwar nicht falsch, aber eben auch nicht vollständig. Da gibt es nämlich mehr als Spurenelemente der SED
https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... 82072.html