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kottsack hat geschrieben:Ich glaube einfach, dass ein großer Teil der Deutschen schlichtweg zu dumm ist, sich darüber Gedanken zu machen. Der Saku will nicht, dann will er nicht. Finde ich völlig in Ordnung. Der hat sich nämlich Gedanken gemacht.
Mich nervts einfach nur, dass sich viele nicht scheren und dann das Flennen anfangen, wenn sie auf einmal oder jemand im Umfeld was brauchen und dann so bescheuerte Aufrufe kommen.
Nein, aber dazu später.
Ich habe jetzt hin und her überlegt, ob ich was dazu schreiben soll, weil das bei mir jetzt ziemlich intim wird und ich eigentlich keine Lust habe, dass der el_bart0 das kommentiert, aber wenn sich nur einer dadurch einen Ausweis besorgt, hat das seinen Zweck erfüllt.
Ich habe seit vielen Jahren einen Organspenderausweis und ich bin für die Widerspruchslösung.
Jetzt meine Geschichte in zwei Episoden. Bei meinem Vater wurden im Alter von zwanzig Jahren erblich bedingte Zystennieren diagnostiziert. Es gibt die Möglichkeit, damit zu leben und je nach Schwere zwei bis fünf mal in der Woche ins Krankenhaus zu gehen und einen halben Tag an der Dialyse zu verbringen. Die zweite Möglichkeit ist die Transplantation, die im Optimalfall ein sorgenfreies Leben garantiert. Irgendwann wurde er transplantiert, das Prgan wurde jedoch nach einiger Zeit abgestoßen. Das ist zwar heutzutage auch möglich, aber das Risiko kann durch die Medizin etwas minimiert werden. Okay, Transplantation war nix, Dialyse war wieder angesagt. Über viele Jahre. Das zehrt den Körper aus. Irgendwann hatte er durch die jahrelange Behandlung Metallablagerungen im Hirn, die seine Wahrnehmung beeinträchtigten. Viele Jahre später die nächste Transplantation. Diesmal passte das Organ. Durch die lange Dialysezeit gab es aber Folgeerkrankungen und mein Vater starb mit 65. Je älter er wurde, desto weiter rutschte er in der Dringlichkeitsliste nach hinten, weil die Zahl der Transplantationsorgane einfach zu niedrig ist.
Ich habe diese Nierenkrankheit glücklicherweise nicht geerbt, aber 2018 hat es mich trotzdem erwischt. Herzinfarkt. Umgefallen, Herzstillstand. Puls und Bewusstsein weg. Mehreren glücklichen Umständen verdanke ich es, dass mich eine sehr nette Dame wiederbelebt hat, auch wenn sie mir dabei zwei Rippen brechen musste, was natürlich unverschämt war, ich es aber gerade noch verzeihen konnte. Nach der OP ging es in die Reha. Dort waren die meisten Patienten so ähnlich wie ich unterwegs, ein paar besser und ein paar schlechter.
Aber er zwei Herren liefen nur mit einer Jutetasche rum. Egal, wohin. Immer war die Tasche dabei. In der Tasche befand sich nämlich der Akku für Ihr Kunstherz. Einer dieser Männer wartete seit einem Jahr auf ein passendes Spenderherz. Der andere Patient war Anfang 70 und ihm wurde mitgeteilt, dass er sein restliches Leben mit Kunstherz und Jutetasche verbringen wird, weil er kein Spenderherz mehr bekommt. Obwohl eine OP in dem Alter natürlich mit hohen Risiken verbunden ist, liegt es in erster Linie an der Dringlichkeitsliste, dass gar nicht wenige im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke bleiben.
Und jetzt zur Quote von kottsack. Nein, es ist keine Dummheit. Ich glaube, es ist in keinem einzigen Fall Dummheit. Es ist Verdrängung. Wer ein unbeschwertes und gesundes Leben lebt, der gibt der eigenen Vergänglichkeit oftmals keinen Raum, weil die Gedanken die Leichtigkeit aus dem Leben ziehen. Jeder weiß, dass er stirbt, aber es ist ein großer Unterschied, ob dieses Wissen nur kognitiv abgespeichert wird, oder ob es das Leben wirklich begleitet. Wer eigene Erfahrungen, Kinder oder Angehörige hat, die Betroffene sind, der sieht es nicht nur oft anders, er verliert auch die Angst.
Ich kann jeden verstehen, der Angst hat, der glaubt, man würde ihn zugunsten eines anderen über den Jordan schicken, aber die Angst ist unbegründet. Es wird kein Leben aufgewogen, es gibt kein wertvolleres oder wertloseres Leben. Ich bin überzeugt, der Umgang mit Sterbenden ist da sehr verantwortungsbewusst und wer einmal einen Menschen erlebt hat, dem mit einem neuen Organ ein neues Leben geschenkt wurde, der wird diesen Eindruck nicht vergessen.
Eine Widerspruchslösung hätte den Vorteil gehabt, dass alle, die grundsätzlich spenden würden, die aber die Verdrängung des Themas daran hindert, sich einen Ausweis zu besorgen, zum potenziellen Lebensretter würden, ohne sich mit dem „gedanklichen Grauen“ auseinandersetzen zu müssen, während es auf der anderen Seite genug Möglichkeiten gibt, bei denen derjenige, der das nicht will, seinen Widerspruch anbringen kann. Schade, dass es nicht so kam. Ich verstehe es, die Verantwortung über den eigenen Körper haben zu wollen, aber aus meiner Sicht ist der tote Körper Müll und wenn der Müll helfen kann, Leben zu retten, sollte das quasi verpflichtend sein. Über Herz- und Hirntod will ich nix schreiben, da das für mich in diesem Punkt bei weitem nicht so wesentlich ist, wie es von manchen dargestellt wird.
Meine Bitte: Holt euch Organspenderausweise. Der ist noch dringender als eine Dauerkarte und man muss auch nicht auf die Gewissheit warten, ob Tuomie auch einen hat.