Maxi AEV hat geschrieben:PR-Coup? Ablenkung?
Macht für mich alles keinen Sinn. Im Donbass brennt der Baum und jetzt willst auf Kursk marschieren?
Irgendein ukrainischer Offizier sprach von geisteskranken die sowas entscheiden.
Selbst die Größenordnung ist nach wie vor relativ unklar. Die eingesetzten ukrainischen Streitkräfte scheinen weiterhin nur im im mittleren bis maximal hohen dreistelligen Bereich zu sein. Zumindest sehe ich nichts Gegenteiliges.
Das bedeutet an der Stelle:
Es wird Mensch und Material riskiert (und verschlissen), aber der Aufwand insgesamt ist vermutlich noch nicht in einer Größenordnung die woanders eine Enscheidung herbeiführen könnte.
Das kann keine allgemeine Entschuldigung sein, weil natürlich auch hier steter Tropfen den Stein höhlt - in beide Richtungen. Viele "nicht bedeutende Verluste" führen zu bedeutenden Verlusten, viele "nicht bedeutende Verstärkungen" führen zu bedeutenden Verstärkungen.
Ziele:
Es gehen einige Ziele um, die illusorisch zum jetzigen Zeitpunkt sind.
- Das Kursker KKW wird seit gestern genannt. Es ist 60 km Luftlinie von der Ukraine entfernt. Der Aufwand, es zu erobern und dann zu halten, würde die 10.000 weit überschreiten.
- Eroberung der Stadt Kursk, Fahrt nach Moskau... ok, das müssen wir wohl nicht ernsthaft diskutieren.
Reserven binden, Fronten entlasten:
Prinzipiell ergibt es für die Ukraine Sinn, eine Front zum Leben zu erwecken, auf der sie ohnehin (untätige) Truppen hat, die vor Ort bereits gebunden sind, wenn sie damit russische Truppen zusätzlich bindet.
Allerdings stimme ich Experten vor Ort wie internationalen Experten zu, dass dies wenig erfolgversprechend ist.
Russland schützt die Grenze durch Truppen, die nicht für die Ukraine vorgesehen sind, vor allem FSB-Grenztruppen und Wehrpflichtige. Diese aufzumischen, ändert also nichts im Donbas.
Dazu hat Russland Reserven in Kursk, Bryansk und Belgorod genau für diese Zwecke, sowie um ggf. neue Fronten zu eröffnen. Dass also nur ein Soldat aus dem Donbas abgezogen wird, dass nur eine andere aktive Front damit entlastet wird, scheint unwahrscheinlich. Das sehe ich so auch bei Rob Lee und Tatarigami bestätigt.
Aufmarsch stören: Wenn die Ukraine einen Angriff in Sumy erwartet, und das haben Budanow und Selenskyj mehrfach gesagt, dann kann es Sinn ergeben, die Russen zum Reagieren zu zwingen, statt ihnen die Initiative überlassen. Hier muss am Ende aber eine positive Bilanz stehen, wenn es um die Verluste geht, und zwar besser, als 1 zu 1, wegen der unterschiedlichen Ressourcen. Logistik: Nördlich von Sudzha, in 13km von der Grenze entfernt, läuft eine wichtige russische Eisenbahnlinie, die für die Versorgung der an der Grenze zu Sumy aufmarschierten Truppen sehr bedeutend ist. Sie zu unterbrechen ist ein wichtiger Vorteil, wenn man es schafft, sie dauerhaft zu unterbrechen. Allerdings kann das Gebiet westlich davon weiter über Kursk, das Gebiet östlich davon weiter über Belgorod versorgt werden. Man würde erst einmal nur eine Verschiebung von Mensch und Material entlang der Grenze unterbinden. Ob die anderen Linien zu ausgelastet sind, sodass der Ausfall der Querverbindung selbst in Wowtschansk zu Vorteilen führt, kann ich nicht ausschließen. Ich weiß es nur nicht, weil das Berechnen von Bahnlinienkapazitäten mal logistischer Bedarf weit meinen Fähigkeitsbereich überschreitet.
Verteidigung aus besserer Position: Geographisch: Sudzha ist in einem Tal. Die ukrainische Seite der Grenze ist ein Höhenzug. Man kontrolliert bereits fast den gesamten Höhenzug.
Man gibt also erst einmal den Höhenvorteil auf, wenn man in Richtung Russland marschiert. Hier wäre ein Vorschieben um wirklich am Rand des Tales zu stehen wohl von Vorteil, sich im Tal zu positionieren ist aber nicht ideal. Den nächsten Höhenzug komplett zu erobern, um von dort aus wieder ins Tal zu schauen, dürfte zu weit sein, dann ist man langsam vor Kursk. Befestigungen: Im Tal haben die Russen Befestigungen gebaut, die von ukrainischer Seite zur Verteidigung genutzt werden können, aber sie sind eben zur Verteidigung in die andere Richtung ausgelegt und daher nicht optimal. Das fängt mit Feuerbereichen an, geht über genutzte Geländeeigenschaften weiter und führt zu Drachenzähnen und eventuellen Panzergräben, die dann hinter den eigenen Linien sind, statt davor. Gelände für Tausch gewinnen: Das würde allenfalls Sinn ergeben, wenn die Verhandlungen gerade laufen oder unmittelbar bevorstehen. Oder, wenn die Ukraine glaubt, das Gebiet bis zu den Verhandlungen halten zu können. Oder aber, wenn sie jetzt fünf, sechs Oblasten überrennt. Was illusorisch ist. Wirtschaftlich: Die Gastation in Sudzha ist wohl schon in ukrainischen Händen oder fast. Angeblich laufe dort aber ohnehin kein Gas mehr durch. Zudem kann die Ukraine den Gasfluss auch auf ihrer Seite der Grenze stoppen, dazu braucht sie die Station ist. Wenn also hier nicht etwas ist, was ein Gas-Pipeline-Experte erklären kann - beispielsweise die Möglichkeit, das russische Gasnetz großflächig von der Station aus zu sabotieren, sehe ich auch hier nichts Überzeugendes. Grundsätzlich ergibt eine ukrainische Operation für die Ukraine nur dann Sinn, wenn sie die strategische Situation verbessert. YOLO-Offensiven bringen wenig, selbst der PR- und Moral-Effekt dürfte kaum von Bestand sein. Wenn die Ukrainer mit ihrer Offensive Verluste anrichten, so müssen sie, für eine erfolgreiche Operation, realistischerweise 1 zu 5 anstreben, um es zu einem Erfolg erklären zu können. Und zwar 1 zu 5 gegen Truppen, die für die Ukraine vorgesehen sind. Selbst 5000 vernichtete Wehrpflichtige ändern sehr wenig für die Ukraine, da die Wehrpflichtigen erst einmal gar nicht für die Ukraine vorgesehen waren, während ihre eigenen Verluste woanders hätten kämpfen können. Welcher Sinn sich dort entfaltet, werden wir sehen müssen. Am Ende wird es vom ukrainischen Aufwand abhängen, im Verhältnis zu den tatsächlich erreichten Erfolgen. Der Angriff kann in sich Sinn ergeben oder dumm sein. Das zu bereits abschließend zu beurteilen ist naturgemäß zu früh.