kottsack hat geschrieben:ich bin der Ansicht, dass sich jeder alles erarbeiten kann. Er muss nur fleißig sein.
Hallo Thilo,
du versuchst den Leitfaden der FDP zu ideologisieren, gibst dabei aber unfreiwillig den Sarrazin.
Ärmel hoch und los geht es. Die Guten ins Töfpchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Einfach mal ein Exempel statuiert, das aufzeigt, wie faul doch unser Prekariat ist.
Die Anzahl der Hochschulabsolventen ist seit 2000 um mehr als ein Drittel gestiegen. Die Zahl der akademischen Berufe jedoch nicht. Da bleiben so manche auf der Strecke, die das entsprechende Bildungsniveau haben und es bleiben ebenso viele auf der Strecke, die über ausreichend Fleiß verfügen. Die Spirale zeigt nach unten.
Es ist nämlich nicht nur der Fleiß, es sind Bildung, Konjunktur, Geschlecht und verdammt viel Glück, die zusammen kommen müssen. Es ist schon nicht jeder seines Glückes Schmied, seines Kontos Schmied ist nochmal eine ganz andere Sache. Dein Posting trieft vor Überheblichkeit, dass es ein Grauen ist. Nazis nehmen den Menschen die Arbeitsplätze weg, habe ich mal gelesen und ich behaupte, du betreibst soziologischen Rassismus.
Wenn du an der Optimierung deiner persönlichen Lebenssituation arbeitest, dann sei dir das unbenommen, aber daraus eine "lex generalis" zu machen, geht schlichtweg an der Realität vorbei. Wo sind die Arbeitnehmer, die mit 50 in ihren Betrieben gekündigt werden, weil junges Personal nur halb so viel kostet? Alle faul? Wo sind diejenigen, deren Lebenssituation den Aufstieg an den Platz an der Sonne verwehrt? Alle faul? Kinder, die in Familien geboren werden, in denen es von Haus aus schwierig ist, weil sie nichts anderes kennen als Arbeitslosigkeit und viele der Dinge, die mit ihr einhergehen, wie Alkoholismus oder Kriminalität. Wo sind die Selbständigen, die aufgrund schlechter Konjunkturlage oder aufgrund des Preiskampfes großer Konzerne vor die Hunde gehen? Alle faul? Wo sind diejenigen, die schlicht und ergreifend nicht die geistigen und körperlichen Fähigkeiten haben, einen steilen Aufstieg zu machen, ohne dabei in die Nische der Behinderten zu fallen? Alle faul? Wo sind die, die sich zur falschen Zeit für das falsche Studium oder den falschen Beruf entschieden haben und dies nicht mehr korrigieren können? Die faulen Frauen an der Kasse vom Aldi, die in die Arbeit gehen müssen, weil ihre faulen Männer zu wenig verdienen oder sich aus dem Staub gemacht haben. Die faulen Mütter, die nicht parallel einen adäquaten Abschluss an der Abendschule machen können, weil ihnen Zeit und Mittel fehlen. Wo ist der Weiterbildungswillige, der nicht die finanzielle Rückfallebene als weiches Kissen hat und deshalb malochen muss, obwohl er gemeinhin als überqualifiziert gilt? Wo ist der, der durch Schicksalsschläge vor den finanziellen Trümmern steht? Die ganzen Umstände der Sozialisation, der gegebenen Fähigkeiten und des Umfeldes werden von dir einfach ignoriert.
Nein, die Antwort ist kein Beißreflex. Ich habe finanziell vieles von dem, wovon der kleine Mann nur träumt und worüber der große Mann nur lacht, aber in deinem Beitrag steckt so viel Hosenscheißertum, dass man das nicht unkommentiert lassen darf. Jeder, der von sich sagt, er hätte sich alles erarbeitet, der hat die Möglichkeit bekommen, sich alles zu erarbeiten. Und manchmal wäre etwas Demut und Dankbarkeit angebracht. Ich wünsche dir nicht, dass du die Erkenntnis an eigenem Leib erfährst, manchmal reicht es schon, wenn man versucht, über den Tellerrand zu blicken. Faulheit ist sicher kein probates Mittel, aber Fleiß auch nur eines von vielen. Verzogen sind nicht nur reiche Erben und nicht alle reichen Erben sind verzogen. Übrigens sind bei weitem nicht alle Millionäre auch fleißige Bienchen, aber darauf hat ja Omaschupser schon hingewiesen.
Wenn du an anderer Stelle einen Fußballmillionär verteidigst, der von den Geistern eingeholt wird, die er selbst rief, auf der anderen Seite dem kleinen Mann die lange Nase zeigt und Faulheit unterstellt, dann finde ich das moralisch ekelhaft.