Guten Morgen!
Ich habe schon Schlechteres gelesen zum Frühstückskaffee. Nein, eigentlich habe ich selten Besseres gelesen an einem Sonntagmorgen als diesen Kommentar in der Zeit. Viel Spaß dabei und ein schönes Restwochenende!
https://www.zeit.de/kultur/film/2021-04 ... ettansicht
Die Mär von den Untertanen und Gleichgeschalteten
Schauspieler sind Projektionsflächen, sie haben Fans und die Gabe, dramatisch und wohlgesetzt Text zu sprechen. Wenn sich nun Liefers und rund 50 weitere Schauspielerinnen in den kurzen ironischen Clips für bedingungslosen Gehorsam gegenüber Regierungshandeln aussprechen; wenn sie (natürlich auch ironisch) befinden, dass wir immer noch mehr Angst haben sollten und dass es gut sei, wenn Medien diese Angst schüren – dann hat das eine andere Wirkung als ein paar Wackelfilmchen aus dem Feld. Was aber macht man nun als um eigenständiges Denken bemühter Mensch mit dieser Wirkung?
Zunächst einmal, was man vielleicht nicht machen sollte: zum Beispiel auf die privilegierte Position dieser Schauspielerinnen hinweisen.
Zudem kann das Ganze ja auch solidarisch mit weniger gut bestallten Kolleginnen gemeint sein, wobei dieses "Ich bin ein Sprachrohr für andere mit weniger Reichweite" aus den Videos eher wenig hervorgeht.
Ebenso wenig zielführend: Kritik als solche zu delegitimieren. Das ist ja der Popanz, zu dem sich die Videos chorisch aufraunen: Nichts darf man mehr sagen. Doch, darf man. Aber ein Minimum an Analysefähigkeit, Informiertheit und Verständnis für die allgemeine Lage hülfe dabei. Diskurs ist kein Wünsch-dir-Was, man kann weder je nach Belieben die Covid-Toten einfach ausblenden noch den wissenschaftlichen Konsens dahingehend verzerren, es gebe zwei gleichrangige Lager, von denen das eine die Pandemie unzulässig dramatisiere und das andere aus Gott weiß welchen Gründen nicht gehört werde. Beziehungsweise: Auch das darf man natürlich. Es ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.
Man darf dann nur nicht mehr erwarten, von ernst zu nehmenden Leuten ernst genommen zu werden.
Aber Moment, erklärt dieser Text nicht gerade doch, besonders perfide, bestimmte Stimmen sollten nicht gehört werden?
Selbst totalitär
Nein, er steuert nur auf ein Argument zu, warum diese spezielle Kritik höchst kritikwürdig ist: Die Kritik ist nicht nur nicht analytisch, analytische Kritik wird auch einfach ausgeblendet. Die anderen, die all das mit der Gefahr und der Angst für bare Münze nehmen, die soll man in der Karikatur für Untertanen halten. Solchen wird allgemein und historisch bedingt speziell in Deutschland Kadavergehorsam nachgesagt, Dummheit und Lust am Beherrschtwerden. Als gäbe es in Kultur, Politik und – ja – Medien nicht zahlreiche Stimmen, die gleichfalls Kritik am politischen Handeln auf Länder- und Bundesebene üben.
Das ist nicht nur unsolidarisch gegenüber den Toten, den Leidenden und Trauernden. Es ist auch unsolidarisch gegenüber all jenen, die substanziell kritisieren. Mehr noch: Es ist demagogisch und, indem es Totalitarismus behauptet, wo eigentlich nur gesellschaftlicher Konsens herrscht (dass dieses Virus gefährlich ist), selbst totalitär.
Wer all die Stimmen einfach ausblendet, die differenziert und dadurch nicht weniger heftig die Vorfahrt für die Wirtschaft, die Nichtbeachtung der Marginalisierten, von Kindern und psychisch Kranken und nicht zuletzt die völlige Ignoranz gegenüber Kunst und Kultur kritisieren, handelt nicht nur gedankenlos. Er will offensichtlich auch jene Positionen beschädigen, die anders und anderes kritisieren als er selbst. Das aber ist das – sorry to say – Playbook des Faschismus in der Opposition.
Eitelkeit und eine gewisse esoterische Verblendung
Damit ist das alles auch anschlussfähig an die Diktatur-Behauptung der Querdenkerinnen und stellt sich unweigerlich in ihren Kontext. Um Beifall von rechts zu vermeiden, muss das Theater leer sein? Well, vielleicht sollte man auch einfach auf der Bühne eines YouTube-Videos keinen menschenverachtenden Mist labern. Der Beifall ertönt, weil es keine Differenzierung gibt, keine Anerkennung von Leid und der regierungskritischen Leistung anderer. Das Gros der Videos ist in seiner Unschärfe und in seinem polemischen Ausblenden der Opfer wie gemacht für Resonanz im (rechten) Todeskult, wonach halt überlebt, wer sich sorgsam stählt und pflegt und eben lebensfähig ist. Und was in den Videos sonst noch zu sehen ist, ist Eitelkeit und eine gewisse esoterische Verblendung.
Es gehört nun auch zur Form dieser Kritik, dass sie Gegenrede als Bestätigung ihrer These liest: "Seht Ihr, abweichende Meinungen sollen wirklich mundtot gemacht werden!" Oder auch: "Die Aufregung zeigt, dass sie einen wunden Punkt getroffen haben."
Nope, sie zeigt nur, dass man allein dort hart in der Sache streiten kann, wo überhaupt erst Einigkeit über die Faktenlage herrscht. Ist das nicht gegeben, braucht diese neue Form der Kritik auch eine neue Form der Gegenrede. Wenn gesagt wird, man wolle die Diskussion öffnen und verbreitern, muss die Antwort lauten: So nicht mit uns! Der ritualisierte Aushandlungsprozess, Rede – Gegenrede – Wahrheit in der Mitte, ist hier nun so tot, wie er es etwa bei Sprechversuchen mit Nazis schon immer war.
Dass das nicht bedeutet, dass alle querdenkenden Schauspielerinnen Nazis oder Esoteriker sind: Himmel hilf, dass sie’s verstehen.