Dies ist ein Bericht aus dem
Eishockey - Jahrbuch 1991 / 92 und mit dem Wissen von Heute klingt der Abschnitt von Augsburg, bzw. Jaro Pouzar schon sehr "makaber" !
Die verrückte zweite Liga
(Quelle: Eishockey-Jahrbuch 1991/92, Seite 76-79)
Das Jahr in der zweiten Liga war mal wieder Voll mit seltsamen Geschichten.
Da ist die des ESV Kaufbeuren, der immer von der Bundesliga redete, aber sich in den Spielzeiten 89 und 90 regelmäßig einen Schnaufer vor der Zielgeraden hatte zerlegen lassen. Diesmal schien's dem traditionsbehafteten Klub noch viel schlechter zu ergehen:
Mittelmäßigkeit in der Vorrunde, Zuständigkeitsrangeleien im Kulissenbereich, eine (inoffizielle> Trainerentmachtung kann solch ein Verein das alles für ein paar entscheidende Wochen hintanstellen und aufsteigen? Er kann! Der ESV Kaufbeuren bekam letztendlich noch den großen Schub und machte die Tat bereits am vorletzten Spieltag in Essen perfekt. Wer weiß, was auch wieder passiert wäre, wenn's auf die Schlußvorstellung daheim gegen Iserlohn angekommen wäre.
Dann wäre da die Geschichte des Krefelder EV: Auch nachdem Holger Ustorf als Coach des Starensembles rausgeschmissen und längst durch Mike Zettel ersetzt worden war, gurkte die Seidenstädter Truppe noch herum in der zweiten Liga Nord. Was ihr gefehlt hatte, um wirklich gut zu werden, wußte sie erst, als sie mit Karel Lang im Dezember als Weihnachtsgeschenk aus der Stuttgarter Aufgabe-Masse einen neuen Tormann erhielt. Der CSFR-Schlußmann mit deutschem Paß definierte eine neue Dimension des Keeperwesens im Unterhaus. »Karel Gott« tauften sie ihn schon in Stuttgart. Seine himmlische Form bewahrte er in Krefeld. Heraus kam dank ihm und dem Motivator Mike Zettel der Aufstieg. Zettel, der Spezialist: Den EHC Freiburg hatte er ein Jahr zuvor ebenso unerwartet erfolgreich durch die Relegation gelotst. Ein guter Trainer, so scheint's - aber ohne deutschen Schein und deshalb vom Deutschen Eishockey-Bund nicht anerkannt. Aber man kann ja auch Teamchef sein.
Eine Erfolgsstory schrieb der EC Hannover, das Team aus Boom-Town. Nirgendwo sonst erlebte Eishockey einen solchen Aufschwung wie im Stadion am Pferdeturm. In der Aufstiegs-runde war alle neun Mal die Bude mit 4700 Zahlenden voll - schon nächtens waren die Kartenkäufer truppweise mit Liegestuhl und Wolldecken angerückt. Lange mischte der ECH aussichtsreich um den Bundesliga-Platz mit - und das, obwohl er mit Bruce Keller den am deutlichsten unterschätzten Coach der zweiten Liga Nord hatte. Den Sprung nach oben schafften Kellers nordamerikanische und Ex-DDR-Boys - Maroste, Thomson, Heidt, Reiss sowie Lempio und Bögelsack hießen die Stars - nicht. Vielleicht auch besser so.
Immer wieder gibt's die Geschichte vom Favoriten, der strauchelt und auf der Nase landet. Da wären wir in Nürnberg. Keine andere Mannschaft der zweiten Liga hatte diese brillanten spielerischen Möglichkeiten. Keine andere eine Reihe wie die erste des EHC 80, die alles in Grund und Boden zokken konnte: Ray Podloski, Wayne Thompson - die routinierten Kanadier, dazu Jan Tabor, Mann der CSFR-Schule. Sie hatten Superforrn -nur in den letzten Wochen der Saison setzten sie aus.
Ein Päuschen mit fatalen Nachfolgeerscheinungen: Nürnberg war schnell weg vom Fenster, den gefrusteten Fans blieb nur die Hoffnung den neuen Anlauf im nächsten und die Freude an Torwart Gerhard Hegen, der in fast jedem Spiel Purzelbaum anbrachte. »Gerhard, Rolle« - einziger stimmungsvoller Moment an der Noris.
Die zweite Liga, Gruppe Süd, ein wenig von ihrer guten Reputation. Es war nur der Dritte Kaufbeuren, wirklich beständig ernsthafter Anwärter aufs Aufrücken war. Der SV Bayreuth brach ein - und das war abzusehen. Die Mannschaft hatte unter Hans Zach, der nach Düsseldorf ging und dort Deutscher Meister wurde, das Maximum erreicht. Die Ära Lorenz Funk währte nur kurz, eine 1:6-Niederlage in Landsberg erschien dem Vorsitzenden Georg Bemreuther dermaßen derb, daß er den Trainer feuerte. Danach machten die Spieler das einige Wochen in Eigenregie, ehe Tore Hedwall verpflichtet wurde. Aber der Schwede, ein durchaus renommierter Mann, hatte eine schlechte Saison. Schon in Essen mißglückte ihm alles. Seine Misere setzte sich fort - der SV Bayreuth wurde schlechteste Süd-Mannschaft der Aufstiegsrunde. Und die Halle leerer und leerer.
Wachstumsgrenzen mußte vorläufig auch der Augsburger EV, Krösus des Südens, erkennen. Die Vorrunde über hatte er nur selten mal einen verletzungsbedingten Ausfall eines Spielers, doch als es im Februar richtig losging, herrschte die Schwindsucht im Kader. Bernd Kühnhauser, Leihgabe aus Rosenheim und die Entdeckung der Liga, mußte sich die Schulter operieren lassen, Armin Steigenberger brach sich im ersten Spiel nach wochenlanger Pause wegen Gehirnerschütterung das Bein, Duanne Moeser blieb als Andenken an eine feige Attacke des Iserlohners Greg Evtushevski ein Bänderriß im Knie - da sanken die Chancen. Und der Zuschauerschnitt, zumal die Klubführung gerade noch die Eintrittspreise erhöht hatte. Nur einer verhinderte, daß alles uninteressant wurde:
[size=12px]Jaroslav Pouzar, der große alte Mann. Der 39jährige legte in der Aufstiegs-runde noch einmal zu, schoß, obwohl eher Typ des Paßgebers, sogar um die Schützenkrone mit. Sein Trainer Josef Capla geriet ins Schwärmen - und Philosophieren: »Jeder stirbt zweimal. Als Mensch - und zuvor, wenn er mit seinem Sport aufhört. Pouzar wehrt sich in seinen letzten Spielen gegen den Tod.«[/size]
Augsburgs Nachbar EV Landsberg wollte dem ehrenwerten Publikum ein ähnliches Kaliber wie Pouzar bieten - und präsentierte einen unglaublichen Neuzugang: Helmut Balderis, 38jähri-ger Lette, Kopf der UdSSR-Nationalmannschaft der siebziger Jahre - und, wie aus Minnesota, wo er in seinem hohen Alter noch agierte, zu vernehmen war - ein nach wie vor zauberhafter Eishockeyspieler. Der EVL wollte jedoch keinen seiner beiden Ausländer - Dwayne Robinson und Arthur Rutland - austauschen, sondern Balderis quasi als Deutschen spielen lassen. Wenn er schon Helmut heißt. Doch dieses Unternehmen ging nicht so recht voran, Balderis flog wieder in die Staaten zurück, war nicht greifbar, Papiere fehlten. Was Landsbergs Fans blieb, war ein Freundschaftsspielauftritt: wunderschön - aber ebenso schmerzlich, weil sich herausstellte, daß der Mann doch nicht zu kriegen war.
In Landsberg stimmte überhaupt wenig nach der Super-Saison 89/90. Der Trainer-Guru Dr. Karel Franek war plötzlich nicht mehr wohlgelitten bei den Spielern. Sie verloren in Bad Tölz demonstrativ 1:7 und setzten den Tschechoslowaken in einer mannschaftsinternen Abstimmung ab. Franek machte dann erst mal 14 Tage Urlaub, kehrte dann zurück, wollte seine Arbeit wiederaufnehmen... Der Vorstand zahlte eine Abfindung, und Franek war weg.
Der EVL-Knatsch machte den Weg frei für den SC Riessersee, der sich mit starken Schlußwochen noch auf Platz fünf im Süden und somit in die Aufstiegsrunde schob. Der dreijährige Lehrgang bei Altnationalspieler Franz Reindl fruchtete, die Einheimischen-Truppe aus dem Werdenfelser Land mit den kanadischen Korsettstangen Rick Boehm und Ron Chyzowski wurde zur festen Größe in der Süd-Gruppe und später auch sogar in der Aufstiegsrunde.
Für den EV Füssen reichte es trotz personeller Verstärkung bei weitem nicht zum wichtigen Rang fünf, der EC Bad Tölz leistete sich eine für seine Verhältnisse teure Truppe nur für ein paar Monate, speckte dann drastisch ab und beschied sich damit, den letzten Platz zu vermeiden. Der ging an den EHC Klostersee, der diesmal lediglich durch viele Gegentore und die Beschäftigung diverser Trainer (Brunner, Kochta, Dzurilla) auffiel. Aber: Alle diese Klubs überlebten - einer nicht:
der EV Stuttgart.
Im nachhinein mußte man sich schließlich schon fragen, wie dieser marode Klub durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung des Verbandes gekommen war. Offengelegte Spielerverträge (wie der von Joe Wasserek, der nach Bad Tölz wechselte) machten klar:
Was dem EV an Ausgaben bevorstand, konnte er bei seinem kleinen Stadion auf der Waldau mit 2850 Plätzen (überwiegend zum Stehen) und beschränkter Werbekraft nie und nimmer einnehmen.
Dazu kommen noch die Altschulden, die vom aktuellen Klub-Vorstand um den Hotelier Georg Hohl gar nicht mal zu verantworten waren - Stuttgart hatte keine Chance, Anfang Dezember war alles vorbei. Für die Gläubiger - darunter Nachwuchsverein EC Stuttgart, der dem EV gegen Rechnung die Jugendarbeit abnahm - gab's aber auch keine Gelegenheit mehr, die Tageskasse pfänden zu lassen.
Im Norden blieb dem Publikum der Ausstieg eines Teilnehmers mitten in der Saison erspart, der EC Dinslaken erklärte seinen Verzicht bereits vor dem Start. Die zweite Liga aufzufüllen
- darauf wurde zugunsten der Oberliga, die man nicht unnötig schwächen wollte, verzichtet. Man blieb zu neunt.
Der Duisburger SV hatte kein gutes Jahr, rutschte frühzeitig ab. Star Francois Sills orientierte sich im Dezember schließlich zum Krefelder EV. Doch die anderen acht Teams hingen fast bis zuletzt dicht beisammen. Richtig abzusetzen vermochte sich nur der ECD Sauerland Iserlohn. Kurioserweise von dem Moment an, als ihm die komplette Polen-Reihe nicht mehr zur Verfügung stand. Jerzy Christ hatte Probleme mit dem Herzen, Ireneusz Pacula und Jedrzej Kasperczyk wurden auf Initiative ihres Heimatverbandes gesperrt - ECD-Boß Heinz Weifenbach
soll die Ablöse mit ungedecktem Scheck beglichen haben. In der Personalnot wuchs die erste Reihe Sauerlands: Greg Evtushevski, Maurice Lemay, Robert Simon - wie in Nürnberg eine fruchtbare Kombination aus kanadischer und tschechoslowakischer Eishockeyschule. Da gab es nun wirklich nichts Besseres.
In der Aufstiegsrunde aber war Iserlohn ausgepumpt, dazu kamen Spekulationen um die Willigkeit diverser Cracks. Die Saison endete mit Knatsch. Den souveränsten Start legte der EC Ratingen hin, der auf der russischen Welle surfte. Sergej Swetlow, Olympiasieger und Weltmeister mit dem UdSSR-Team und erst 29 Jahre alt, sorgte für Budenzauber im Düsseldorfer Vorort. Mit ihm hatte Präsident Georg Dommel, ein Schmuckhändler, auch Valen Wassiliew, den 41jährigen Rekordnationalspieler der Sowjetunion, geholt - aber nur für Noteinsätze, denn der EC Ratingen verfügte auch noch über den hochgeschätzten Kanadier Dave Morrison. Gegen Ende der Saison 90/91 ließ man weitere Ost-Kontakte spielen und entdeckte im sibirischen Uganagorsk deutschstämmige UdSSR-Erstliga-Cracks mit Namen Engel und Fuchs. Beginn eines neuen Trends im deutschen Eishockey?
Auch der EC Kassel, Neuling, orientierte sich bei seinen Planungen ins europäisch-asiatische Riesenland, ging auf einen Kooperationsvertrag mit Torpedo Jaroslawl ein. Doch in der Praxis funktionierte die Verbindung nicht so recht. Trainer Sergei Nikolaew hatte immer wieder mal Visum-Schwierigkeiten und war nur selten da. Die Spieler Wladimir Kolzow (32) und Viktor Patchkalin (3

erwiesen sich nicht als allererste Sahne. Publikumsliebling Tim Schnobrich wurde den Sputniks geopfert - das sorgte für Mißstimmung beim zahlreich vorhandenen Anhang. Platz fünf, das Ziel, wurde verpaßt. Fortan probiert's der EC Kassel wieder auf der bewährten kanadischen Schiene.
In den Sommermonaten sorgte der ECK aus dem Nordhessischen schon für Aufsehen mit seinen Transferaktionen. Mehr aber noch der Wiederaufsteiger EC Bad Nauheim, der trotz Konkurs-Status kräftig investierte und sogar den viel umworbenen Sauerländer Greg Evtushevski für sich gewinnen konnte.
Die zweite Liga steht vor dem Qualifikationsjahr zur Eingleisigkeit, Nord und Süd sollen sich ab 1992 vereinigen. Wetten, daß wir bis dahin noch ein paar verrückte Geschichten erleben?
Günter Klein