Calcio im Chaos
München/Rom - Nach dem schwarzen Sonntag für Italiens Fußball beginnt die Diskussion um die Zukunft des Calcio im Land des Weltmeisters von Neuem.
Die Eskalation der Gewalt nach dem Tod des Lazio-Fans Gabriele Sandri hat bei Italiens Fußballprominenz zu fatalistischen und desillusionierten Reaktionen geführt.
"Italien hat ein enormes Erziehungsdefizit. Das Problem ist nicht nur, was im Stadion passiert, sondern dass diese Vorkommnisse unsere Gesellschaft widerspiegeln", sagte Alessandro Nesta, Verteidiger des AC Mailand.
"Ich dachte, wir hätten unsere Lektion gelernt. Wie man heute gesehen hat, sind wir weit davon entfernt", ergänzte Nestas Trainer Carlo Ancelotti.
"Weit von der Zivilisation entfernt"
Anfang Februar dieses Jahres war beim sizilianischen Derby zwischen Catania Calcio und US Palermo der Polizist Filippo Raciti getötet worden.
Damals war der gesamte Spielbetrieb aufgrund des Vorkommnisses auf dem Apennin ausgesetzt worden.
Racitis Witwe Marisa Grasso kommentierte die erneute Gewaltwelle drastisch:
"Der Tod meines Mannes hat dieses Land nichts gelehrt. Italien ist von der Zivilisation immer weiter entfernt", sagte sie.
Meisterschaftsstopp oder Reiseverbot?
Wie schon bei früheren Gewalteskalationen überschlagen sich im Land des Weltmeisters jetzt die Vorschläge, wie der Problematik Herr zu werden sei.
Während die zur Regierungskoalition um Ministerpräsident Romano Prodi gehörenden Grünen und die altkommunistische Rifondazione einen sofortigen Meisterschaftsstopp verlangen, wird auch ein Vorgehen gegen die gewaltbereiten Ultra-Gruppierungen diskutiert.
Justizminister Clemente Mastella forderte eine weitere Gesetzesverschärfung. Das Innenministerium in Rom plant angeblich am Montag ein Reiseverbot für Ultras zu verhängen.
"Keine Auswärtsfans mehr"
Diese Maßnahme deckt sich mit einer ersten Reaktion des italienischen Verbandspräsidenten Giancarlo Abete.
"Überhaupt keine Auswärtsfans mehr zuzulassen, könnte unser nächster Schritt sein", sagte er.
Ob die Spiele des 13. Spieltags in zwei Wochen wie geplant ausgetragen werden, ist bislang noch unklar.
Straßenschlachten mit der Polizei
Zentrum der Krawalle war am späten Sonntagabend die italienische Hauptstadt Rom. Aber auch in anderen Städten des Landes wurden Polizisten, Fotografen oder Kameramänner körperlich oder verbal attackiert.
Die Partien Inter Mailand gegen Lazio Rom und AS Rom gegen Cagliari wurden nach Bekanntwerden des Todesfalls abgesagt.
Das Spiel zwischen Atalanta Bergamo und dem AC Mailand musste nach wenigen Minuten abgebrochen werden, weil die Sicherheitskräfte die randalierenden Fans nicht unter Kontrolle bringen konnten.
Unheilvolle Allianz in Rom
In Rom schmiedeten die sonst verfeindeten Ultras von Lazio und AS Rom eine unheilvolle Allianz und attackierten zwei Polizeistationen.
Bewaffnet mit Steinen und Knüppeln lieferten sich mehrere hundert Fans rund um das Olympiastadion Straßenschlachten mit den Ordnungshütern, warfen Scheiben ein und steckten mehrere Fahrzeuge in Brand. Zudem wurde die Zentrale des Nationalen Olympischen Komittees unweit des Olympiastadions angegriffen.
Zehn Polizisten wurden dabei verletzt, einer von ihnen sogar schwer. "Es war wie im Bürgerkrieg", berichteten Augenzeugen in der "Gazzetta dello Sport".
"Mörder, Mörder"-Sprechchöre
Angriffe auf Ordnungshüter wurden auch aus anderen Städten des Landes berichtet. So vereinten sich in Mailand nach Bekanntwerden der Spielabsage zwischen Inter und Lazio mehrere hundert Fans beider Teams zu einem Protestmarsch.
Auch in der norditalienischen Metropole gab es Angriffe auf Polizeistationen.
Beim Toskana-Derby zwischen Siena und Livorno wurden Polizisten mit "Mörder, Mörder"-Sprechchören bedacht.
Der in Rom bekannte DJ und Lazio-Fan Sandri war am Sonntagmorgen auf dem Weg zum Spiel seines Klubs in Mailand im toskanischen Arezzo auf einer Autobahnraststätte von einer Polizeikugel tödlich getroffen worden.
Quelle:
http://www.sport1.de